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Sonntag, 12. August 2018

Jean-Claude Van Johnson, oder: Warum eine Dramaturgie sinnvoll ist


Jean-Claude van Damn, this show is bad

Ich beim Schauen der Serie (Symbolbild)
Es ist schon ein Klischee: Amazon versucht, wie Netflix den Weg von einer Distributionsplattform zur Produktionsfirma zu gehen. Dabei stellt es sich als Konkurrent zu Netflix ähnlich geschickt an wie DC als Konkurrent zu DC. Diesmal sollte Jean-Claude van Damme als Zugpferd ins Rennen geschickt werden. Er kehrt als Geheimagent außer Dienst aus dem Ruhestand zurück und kämpft nicht nur gegen Gangster, sondern auch mit psychischen Problemen – und Problemen der Serie.

Episode #1

Jean-Claude („JC“) reist nach Bulgarien, um in der Nähe der Frau, die er liebt, als Geheimagent ein Drogenkartell aufzuspüren, wobei seine Arbeit als Filmdreh getarnt ist.  Dabei treten Probleme in den Bereichen Humor, Figurenkonstellation, Narration und Dramaturgie auf. Aber der Reihe nach.
Die im Grunde parodistisch angelegte Serie versucht, witzig zu sein. Leider bleibt es beim Versuch. Die Musik ist eher auf Spannungsaufbau ausgelegt, sodass man einige der Gags gar nicht erst bemerkt.
Oft sind die Gags einfach platt. An diesen Stellen setzt der Film dann oft „weirde“ Figuren ein, die trockenen Ramen verkaufen oder Regisseur der Filmcrew sind, mit der JC seinen Aufenthalt in Bulgarien tarnt. Übrigens ist es eine gute und auch selbstironische Idee, dass JC seine Spionagearbeit in Osteuropa mit Filmdrehs tarnt. Der Film im Film wird aber nicht film-im-film-isch genug umgesetzt und Möglichkeiten für gute Gags werden somit ausgelassen.
 Potenziell gute  Ideen können aber auch andersherum vergeudet werden, indem durch ineffizientes Storytelling doppelt auf Witze hingewiesen wird. Ein Bsp. bietet der Moment, als „JC“ sich im Gespräch mit seiner Chefin vermeintliche Schokolade reinwirft, die sich dann aber als nicht essbar herausstellt. Vermutlich handelt es sich dabei tatsächlich um Kieselsteine. Soweit, so gut, nur muss die grimassierende Chefin aber natürlich auch noch mal darauf hinweisen, dass man sie nicht essen kann. Sonst würden einige Zuschauer den Witz nicht verstehen! Diese Stelle ist außerdem der Höhepunkt der unnötigen Dialoge der Serie.
Ineffizientes Storytelling gehört aber zu den Eckpfeilern des Konzepts: Wird die Location gewechselt, setzt eine bildschirmgroße Einblendung ein, die den Ort bekanntgibt und somit die Infos aus etwaigen vorangegangenen Dialogen wiederholt.
Wir lernen in der ersten Folge auch schon die Frau kennen, die JC liebt: Vanessa. Leider fällt die Rolle reichlich unsympathisch aus. In einer Szene soll sie den Zuschauern dadurch nähergebracht werden, dass sie in einer schwachen Fokalisierung via Rückblende über ihre gescheiterte Liebesbeziehung mit JC erzählt. Später ermittelt JC in einer Fabrik; er ist per Headset mit Vanessa verbunden. Sie sprechen dabei auch über private Dinge, was immerhin eine gute Idee ist (besser nichts zur Umsetzung). Dann gibt sie uns aber ein Beispiel ihrer Dummheit, indem sie das Headset abnimmt, als JC seinen Rückweg beginnt. Sie hatten sich zum Essen verabredet und JC verspätet sich. Er hatte sein Drehbuch mit auf die Ermittlung genommen, damit es eine Szene geben kann, in der er es verliert und noch einmal zurückgehen muss. Dann kämpft er mit den Bewachern – mit einem nach dem anderen, wohlgemerkt – und verspätet sich daher. Dass er sie sitzen gelassen hat, und sich so verspätet, ja überhaupt noch einmal in Gefahr geraten ist, hat sie sich selbst zuzuschreiben. Aber natürlich ist sie enttäuscht und lässt sich stattdessen von JCs Co-Star vom Film ins Hotelzimmer bringen, welcher diesen später abweist, als er sich bei Vanessa entschuldigen will (!), zu spät gekommen zu sein. Er sei für sie dagewesen, als sie es brauchte. Ah ja. Später am Set fragt er JC dann auch noch, ob zwischen ihnen beiden „alles cool“ sei. Ihre Dummheit steuert zu unnötigen dramaturgischen Entwicklungen bei, die man als Zuschauer dann aushalten muss.
Weiter geht es mit Louis, einem ehemaligen Kindersoldaten, JCs Sidekick. Auch zu ihm wird es nicht möglich sein, eine Bindung zum Zuschauer aufzubauen. Wie viele misslungene Filme hat JCVJ also das Problem, keine sympathischen Figuren hinzukriegen. Einer der Faktoren hierbei ist sicherlich der klassische Fehler, Charakterzeichnung mit Hintergrundgeschichten zu verwechseln. Ein anderer Faktor sind Casting, Schauspiel und -führung,  sowie letztendlich die Handlungen und Sprache der Figuren.
Dazu kommt ein Spannungsproblem, dass der Film sich wenig Zeit für Suspense-Momente nimmt. So gibt es einmal ein Hitchcock-mäßiges Setting, als JC den Drehtag früher als geplant beenden müsste, um danach seine Ermittlungen als Agent weiterzuführen. Keine Minute später ist das Problem simpel gelöst. Diese Ungeduld mit guten Ideen wird dem Film auch an einer anderen Stelle zum Verhängnis.

Episode #2

Diesmal ermittelt JC, veranstaltet ein Autorennen mit verbundenen Augen, und findet heraus, dass der Bösewicht eine Wettermaschine gebaut hat, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. Dieses Autorennen hat das Problem, dass es durch Kamerabewegungen und Schnitte unübersichtlich wird, obwohl schließlich nur noch ein Auto fährt.
Diesmal können wir schon mehr über die zentrale, „JC“, ein von van Damme gespielter gleichnamiger Charakter, sagen. Seine Charakterentwicklung ist unklar, sodass er einen Fehler aus früheren Tagen wiederholen würde, wenn die Umstände dies nicht verhinderten.
Die Serie wird außerdem wieder an unpassenden Momenten ungeduldig, als JC und Vanessa mithilfe einer Wettermaschine Wetter in einem Hotelzimmer herstellen. Dieses schöne Bild wird nur einmal gezeigt und dann auch nur kurz, obwohl es hier etwas zu sehen gäbe, wozu visuelle Medien eigentlich auch da sind, um nämlich genau dies zu zeigen. Diese Momente hätten ausgekostet werden müssen.
Außerdem zeigt sich eines der grundlegenden Probleme in „JCVJ“: die Filmmusik und ihr Einsatz. Zu hören bekommen wir die hunderttausendste Hans-Zimmer-Nachahmung, die natürlich nie die Klasse des Originals erreicht, aber den Fehler wiederholt, als endloser Klangteppich eingesetzt zu werden. Besonders schwach ist die Musik dann, wenn sie in witzig gemeinten Szenen versucht, zu dramatisieren. Im Grunde verschärft die Musik aber ohnehin alle Probleme der Serie. Insgesamt gibt es auch keine starke Szene mit Verzicht auf Filmmusik.
Immerhin gibt es aber einige passable Referenzen an van Dammes Filmographie.

Episode #3

Diesmal ermittelt JC wieder ein bisschen und wir lernen den Bösewicht kennen: Der Produzent des Films, der JCs Tarnung dient.
Dabei ist eine Figur namens Filip wichtig, die man während bzw. nach Episode 1 eigentlich schon vergessen wollte. Dort gibt es eine Szene, in der JC in einer Fabrik ermittelt und alle ihn Filip nennen. Dieser Filip wird auch von van Damme gespielt und ist Mitarbeiter dort. Spätestens, als er später wieder auftaucht, wird klar, dass dieser Handlungsstrang noch länger gehen wird, als nötig. Ein kleiner Gag wurde unnötig ausgedehnt und wird auch noch Teil von Episode 4 sein.
Zum Bösewicht: Die spätestens zweitwichtigste Nebenfigur ist für gewöhnlich der Antagonist. Dieser ist der Filmproduzent des Films, den JC in Bulgarien dreht. Später treffen sie dann aufeinander, als JC sich als Filip getarnt bei ihm einschleicht, aber sofort erkannt wird, denn die beiden hätten laut Antagonist ohnehin keinerlei Ähnlichkeit. Er hat JCs Assistenten Louis entführt und fordert seinen Smart Speaker Alexa auf, ihm das Entführungsvideo zu zeigen, was erst nach mehrfachen Versuchen gelingt.
Hier wäre es etwa passend, dass die etwas undurchsichtige Figur Louis JC als Verräter in die Falle lockt. JCVJ entscheidet sich aber für die glattere Variante.

Episode #4

Der Bösewicht veranstaltet eine Fete, während der JC und Vanessa Louis aus dem Kontrollraum des Bösewichts befreien. Am Ende stirbt der Bösewicht und sie jagen die ganze Anlage in die Luft. Damit endet die Geschichte um die Drogen scheinbar.
Die Anspielungen auf van Dammes Filmographie hätten eine kleine nette Spielerei sein können. Eine dem Geist des Konzeptes entsprechende Idee wäre außerdem gewesen, dass die Droge HK, „Hong Kong“, um die es in der Serie geht, eine Hommage an von dort stammende Martial-Arts-Filme hätte sein können, weil der Bösewicht wollte, dass JC dadurch „wieder“ als Agent arbeitet, um genau diese Serie zu bekommen.
Beim Eindringen in den Kontrollraum kämpfen JC und Vanessa gegen zwei Handlanger. Vanessa verliert gerade, als ihr Gegner sie erwürgt. Sie ist eigentlich wehrlos, dann entscheidet er sich aber dafür, sie doppelt umzubringen und lieber zu erschießen. Er verliert, sie tötet ihn, und ist davon traumatisiert, sodass sie ihren erfahreneren Kollegen fragt, ob es sich immer so anfühle. Später stammt auch der Satz: „Du hörst mir nie zu“, von ihr; so fragt man sich schon, wie Jean-Claude diese Frau so sehr lieben kann. Dieser ist ein schwacher Charakter, der sich lange nicht wirklich verändert, weshalb es auch nur Konsequent ist, dass der Held diesmal das Mädchen nicht bekommt.
Der Bösewicht konnte sich offenbar nicht denken, dass der gegnerische Agent für eine Explosion auf seinem Anwesen verantwortlich war. Erst später kommt er dazu und lässt JC gegen einen Schläger mit Mamorhänden kämpfen. Davor gab es eine Timecop-Referenz die ausgedehnt wird und durch Musik und Spiel statt einem netten kleinen Gag zum emotionalen Höhepunkt der Folge werden soll.  Die Comedymomente, die nicht nur durch Musik, sondern auch Schauspiel zu dramatischen Szenen oder sogar ernsthaften Handlungssträngen werden, sind das wohl größte Problem hier. Das grundlegendste dramaturgische Problem ist, wie ernst sich die Serie nimmt und wie „dramatisch“ sie gerne sein möchte.
Später kündigt Louis JC seine Zusammenarbeit auf, was dann nur noch reiner Kitsch ist. Kitschig oder klischeehaft ist ohnehin vieles an der Serie. Auch Vanessa hat ein Problem mit JCs innerem „Loch“. Insgesamt wird ein klassischer Fehler begangen, da die Serie Hintergrundinformationen und –geschichten mit Charakterzeichnung und –entwicklung verwechselt. Statt bei der Gelegenheit die Bondsche oberflächliche Psychologisierung zu persiflieren, schließt JCVJ direkt daran an. Dennoch ist es ein lobenswerter Versuch, den Helden sein Glück finden zu lassen, ohne die Liebe einer Frau.

Episode #5

JC leidet in armen Verhältnissen vor sich hin, bis Vanessa ihn aufsucht und darüber unterrichtet, dass die vom in der vorherigen Episode getöteten Bösewicht verbreitete Droge jetzt noch stärker im Umlauf ist. Sie brechen bei ihrer Chefin ein und finden heraus, dass die Künstler- und Agentenagentur Drahtzieher dahinter ist.
Dramaturgisch leistet JCVJ sich eine Menge Fehler: Ein Problem gibt es mit dem seriellen Erzählen. Nach 4 Episoden ist die Handlung „eigentlich“ abgeschlossen, sodass die letzten 2 Episoden an ein Zitat aus der eigentlich als Comedy angelegten „Timecop-Szene“ aus Episode #4 beziehen. Wir erfahren auch erst in Episode #5, dass die Drogenstory doch nicht abgeschlossen ist – warum nicht schon in Episode 4? Ein filmischeres Erzählen mit separaterem 3. Akt funktioniert in einem Serienformat nicht. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Episoden müssen stärker sein, um die Spannung bei den Zuschauern hochzuhalten.
Die Beziehung zwischen Vanessa und JC ist wichtig für die Serie, weist aber ebenfalls Probleme auf. Vanessa ist durchgängig abweisend zu JC. Nachdem in Episode  #4 die Dorgenstory scheinbar abgeschlossen ist, kehrt JC nach Belgien zurück. Hier spiegelt der Film dessen anfänglichen Lebensstil, aber in armen Verhältnissen. An einer Stelle schlägt er dabei auf ein verbranntes Brot ein, um dieses zu löschen – eine Szene, die man auch mit einer Metabedeutung aufladen und dadurch verstärken hätte können, dass JC bei der Gelegenheit seinen Frust ablädt. Dann kommt Vanessa zu Besuch. Die Folge nimmt einen Umweg über eine recht platte Mitleidstour, in der JC über seine Kindheit als Waise redet, dann verlangt Vanessa von JC, Dinge „für sie“ zu tun, ohne aber vorzuhaben, ihm im Gegenzug Liebe zu geben. Ihre Deutung der Psyche JCs, dieser habe bloß Angst vor Versagen, wird im Kontext durch die Serie bestätigt, ergibt sich aber in keinster Weise aus dem zuvor Gezeigten.
Einige gute Ideen gibt es, die auch zu vergleichsweise gelungeneren Szenen führen. Zu nennen wäre nach der Feier des Bösewichts mit Bond-Anleihen nun der Einbruch und die Spionage in der Künstler- und Agentenagentur. Dabei lenkt Vanessa die Sekretärin ihrer Chefin per Telefonat ab, woraufhin letztere ausgeblendet wird und auch nicht gezeigt wird, wie Vanessa auflegt. Mit dem Redetext der Sekretärin hätte die Szene gefüllt werden können und die Figuren hätten ein Problem mehr. Dennoch stimmt in der Szene einiges, es gibt Geheimräume, einen Einbruch und Spionage. Leider fügt die Serie dann ihre gewohnt dummen Dialoge hinzu („Sie wussten es nicht?“) und macht potenziell spannende Momente langweilig und substanzlos:
Nach dem Spionieren trifft JC beim Gehen seine Chefin, über die er gerade erfahren hat, dass sie mit zu den Bösewichten gehört. Sie unterhalten sich, wobei der Dialogvortrag extrem langsam und pausenreich ist, um Spannung zu erzeugen, darüber, ob JC gehen oder bleiben soll und darüber, dass es draußen kalt sei. Vermutlich hielt der Autor dies für eine komplexe Metaphorik.

Episode #6

JC trainiert Vanessa und holt sich Hilfe vom Louis. Zusammen spüren sie ihre Chefin auf und bringen sie zur Strecke.
Dabei offenbart sich wieder einmal ein Teil des Figurenproblems der Serie: JCs Entscheidungen erscheinen oft nicht nachvollziehbar, wodurch der Charakter als schwach gezeichnet offenbart wird. Am Ende trifft er ebenfalls eine seltsame Entscheidung, als er verhindern will, dass sich die Luke eines als Tennisplatz (was von der Synchro nicht übersetzt wurde und daher von Vanessa als „Tennis court“ bezeichnet) getarnten Hubschrauberstartplatzes öffnet, wodurch der Helikopter seiner Chefin losfliegen könnte, indem er die Luke per Spagat zusammenhält. JC im Finale ein Problem per Spagat lösen lassen zu wollen, ist eine sinnvolle Entscheidung, allerdings erscheint dies in dem Kontext problematisch, da andere Alternativen, wie herunterzuklettern oder sich am Helikopter festzuhalten, leichter und offenbar erfolgswahrscheinlicher gewesen wären, gerade im Hinblick auf Genrekonventionen.
An anderen Stellen versucht JCVJ, künstlich zu retardieren. So gibt es auch eine Sequenz, die symbolisiert, wie JC seine innere Ruhe findet. Sein kindliches Ich flüstert ihm etwas ins Ohr. Dieselbe Sequenz wird im Finale wiederholt, nur dass man diesmal hört, was geflüstert wird und JC die Erleuchtung bringt. Diese Unterbrechung funktioniert durch ihre Künstlichkeit nicht.

Fazit: Probleme, Probleme…

Jean-Claude van Johnson wirkt wie das Produkt, das dabei rauskommt, wenn jemand ohne Kreativität von einer Filmschule kommt und dann ein Skript schreibt. Weil Produzenten gerne Leuten zwischen 25-30 ihr Debut gewähren, weil die jungen Leute ja wissen, was gerade im Trend ist, darf dieses Skript dann verfilmt werden. Die meisten hier aufgezeigten Probleme beziehen sich noch nicht einmal auf die mangelhafte audiovisuelle Umsetzung der Story, sondern hätten in der Planung beseitigt werden können.
Einige Filmproduktionen arbeiten heute mit Dramaturgen. Gründe hierzu lassen sich gut an JCVJ aufzeigen. Der Serie gelingt kaum etwas und sie ruiniert obendrein selbst ihre eigenen guten Ideen. Ausgerechnet einer Serie mit van Damme misslingt der Spagat zwischen Parodie und ernsthafter Charakterzeichnung. Im Gegensatz zu den klassischen Van-Damme-Filmen versucht die Serie dabei, mehr zu sein, als es ihr möglich ist.  Selbst ein Actionstar wie er schafft es nicht, Amazon Originals zu retten. Seine Mission ist gescheitert.


https://www.imdb.com/title/tt6682754/
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JAH

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