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Sonntag, 8. September 2024

Mit zerknittertem Regenmantel im kybernetischen Institut

 

Inszenierung von Kybernetik in Columbo: Mind over Mayhem

 

“Television in the 1960s, just as stories by Dostoevsky and G.K. Chesterton, illustrated that ‘crime and mystery fiction responded to contemporary social developments but merged with ancient patterns of Western literature.’“

 


Eine große Zahl fiktionaler Werke, insbesondere der sechziger und siebziger Jahre, ist anscheinend durch kybernetische Forschungen und deren mögliche bis utopische Anwendbarkeit in der Praxis inspiriert. Bereits Jahre vor Cybersyn wurde in Star Trek das Raumschiff Enterprise vom Computer M5 gesteuert (Star Trek S02E24) oder zwischen verfeindeten Planeten ein Krieg über Computer simuliert ausgetragen, dessen Simulation aber reale Folgen für die Bewohner bedeutete (Star Trek S01E23). Aber nicht nur utopische Ideen, die durch die Kybernetik inspiriert wurden, in Science-Fiction ist interessant, sondern vor allem die Rezeption in realistischeren Serien.

Nachdem die Schöpfer von Porfiry Petrovich und Father Brown genannt wurden, wird es hier folgerichtig um deren geistigen Nachfolger Columbo gehen. In der Episode Mind over Mayhem (S03E06) ermittelt Lt. Columbo an einem kybernetischen Institut. Wie wird Kybernetik also abseits der Utopie in einer ‚realistischen‘ Serie inszeniert?

Was ist Kybernetik?

 „Kybernetik ist eine Art und Weise des Denkens, nicht eine Sammlung von Tatsachen und Forschungsergebnissen.“ - Ernst von Glasersfeld

Bei Kybernetik handelt es sich um eine Disziplin, die Norbert Wiener als „Wissenschaft der Verständigung und Kontrolle in Tieren und Maschinen“ definiert. Das klingt erst einmal allgemein und auch unerwartet.

Engelbert Schramm stellt sie Kybernetik in den Kontext der Regelungstechnik.

Kybernetik ist somit sowohl als Denkweise als auch als Disziplin und Wissenschaft zu verstehen.

 

Populär wurde Kybernetik durch Wieners Veröffentlichung Kybernetik: Regelung und Nachrichtenübertragung im Lebewesen und in der Maschine. Der Erfolg der praktischen Anwendungen dieser Prinzipien regte intensive weitere Forschung an. Die Möglichkeiten inspirierten dabei auch eine utopische Rezeption, nicht nur in der Fiktion. Ein Meilenstein in der Geschichte der Kybernetik dürfte Cybersyn sein, ein System, das im sozialistischen Chile entworfen wurde, um einem Staat zu helfen, seine Wirtschaft zu regulieren, und die Produktion zu erhöhen. Das Projekt hielt sich allerdings nicht lange, und auch die Kybernetik selbst wurde zunehmend unbedeutender. Während es bis in die siebziger Jahre schien, als würde sich die Kybernetik stürmisch entwickeln und als Leitwissenschaft des Informationszeitalters etablieren, wird heute kaum noch Bezug auf die Kybernetik genommen.

Dabei soll ihr Erbe nicht geschmälert werden. Die kybernetische Denkweise beeinflusst bis heute eine Vielzahl von Forschungszweigen, die sich in den letzten 40 Jahren ausdifferenziert haben.

 

Plagiate, Roboter, Wunderkinder

Mind Over Mayhem (bzw. Teuflische Intelligenz) ist die sechste  Episode der dritten  Staffel der Serie Columbo, kreiert von William Link und Richard Levinson. Sie wurde erstmals 1974 ausgestrahlt. Die Geschichte stammt von Robert Specht, das Drehbuch schrieben Steven Bochco, Dean Hargrove und Roland Kibbee.  Regie führte Alf Kjellin.

Die Episode folgt der üblichen Erzählsturktur: In den ersten 15-20 Minuten lernen wir jemanden kennen, der schließlich einen gut vorbereiteten Mord begeht, ohne, dass eine Spur zu ihm führen soll. Die Polizei beginnt, den Todesfall zu untersuchen. Dann taucht Lt. (bzw. Inspektor) Columbo auf, der sich vorwiegend mit scheinbar kleineren und unwichtigen Details aufhält. In den folgenden Szenen versucht er, den fatalen Fehler des Mörders zu erraten, bis es ihm gelingt, den Mörder zu überführen und zum Geständnis zu bringen.

Dr. Marshall Cahill (José Ferrer), Direktor des „Cybernetic Research Institue“, muss seine Aufgabe, den „war room“ zu steuern, abbrechen. Sein Kollege Dr. Howard Nicholson (Lew Ayres) teilt ihm nämlich unter vier Augen mit, dass Cahills Sohn Neil (Robert Walker Jr.) seine Arbeit, für die er als „Scientist of the Year ausgezeichnet werden soll, vom verstorbenen Carl Finch abgeschrieben hat. „He stole the work of a giant to win the approval of a tyrant.” Dr. Cahill überprüft diesen schweren Vorwurf und beschließt schließlich, Nicholson zu ermorden.

Cahill verschafft sich Zeit, in der er dadurch, dass er seinen Kollegen Steve (Lee Montgomery), ein Kind, das sich später selbst als „boy genius“ bezeichnet, ins Autokino schickt und verschafft sich gleichzeitig ein Alibi, indem er Steves Roboter MM7 programmiert, die Arbeit zu verrichten, die er selbst allein und ungestört erledigen würde.

Dann lässt er den Mord aussehen wie „the work of a psychopath or a drug addict.“ Dabei geht er allerdings unsauber vor.  Lt. Columbo (Peter Falk) entdeckt die Fehler, die dem Mörder unterlaufen sind, um eine andere Mordsituation zu inszenieren. Er bleibt an Cahill dran und ermittelt schließlich im Institut. Noch gibt es aber Probleme, da ihm das Geheimnis, dass Neil seine Arbeit abgeschrieben hat, verschwiegen wird.

Schließlich überredet Dr. Margaret Nicholson, Frau des ermordeten Howard und Neils frühere Psychologin, Neil, seinen Betrug öffentlich zuzugeben. Nachdem Columbo Cahills Alibi mithilfe von Steve und MM7 platzen lassen konnte, hat er nun auch ein Motiv gefunden: „Father loves his son.“ Er übt Druck auf Cahill aus, indem er Neil für den Mord verhaften lässt und dadurch Cahills Geständnis erzwingt. Ein Streichholz, mit dem Cahill nach dem Mord seine Zigarre anzündete, führte Columbo bereits früh auf die richtige Spur. Columbo hat nach einem Zigarrenraucher gesucht und diesen früh in Cahill gefunden.

 

Eine realistische Welt?

„Ich weiß, dass die Hauptfiguren, für die ich mich interessieren soll, nur durch die Fiktion, die der Film sichtbar macht, gesetzt werden; ihre Erlebnisse sind imaginär und vom Filmemacher erdacht. Ich habe demnach ein Universum der Fiktion vor mir, das jedoch in vielem der Wirklichkeit ähnelt oder versucht, diese zum Ausdruck zu bringen. Auf dieser Ähnlichkeit oder Ausdrucksqualität der Welt, die man mir zeigt, in Bezug auf die wirkliche Welt beruht der Stil des Films. Die Beziehung zwischen beiden Welten ist von grundlegender Bedeutung.“ – Étienne Souriau

 

Auch für die Serie Columbo ist ein angemessenes Verhältnis der diegetischen zur afilmischen Welt von Bedeutung. Bei den Figuren handelt es sich Personen ohne übernatürliche Fähigkeiten. Ausnahmen wie Dr. Collier, ein Doktor mit hypnotischen Fähigkeiten (A Deadly State of Mind), fallen daher als fantastischere Elemente auf, obwohl die Hypnose durchaus in der afilmischen Realität vorhanden ist; ihre Nutzung wirkt allerdings übertrieben, zu stark stilisiert, obwohl stets versucht wird, alles realistisch zu verwurzeln. Vergleichsweise wird in einer anderen Episode über den Werbefachmann Dr. Kepple (Double exposure) die Möglichkeit eingeführt, durch unterschwellige Suggestionen Reaktionen zu beeinflussen; diese Möglichkeit nutzt Columbo dann auch, um den Täter zu überführen, aber für weitere Episoden wird diese Möglichkeit nicht mehr genutzt, da diese Möglichkeit nur in dieser speziellen Geschichte nutzbar gemacht wird, weil es bei Columbo keine episodenübergreifende Handlungskontinuität gibt.

Grundsätzlich gilt also: Bei Columbo wird für jede Folge ungeachtet der Ereignisse vorheriger (oder nachfolgender) Episoden neu verhandelt, was die diegetische Welt zulässt und was nicht. In den meisten Fällen soll jedoch eine starke Nähe der diegetischen zur afilmischen Welt erkennbar sein. Die Umwelt, das Verhalten von Nebenfiguren, die physikalischen Regeln und die Logik der Details, die Columbo stets beachtet, sind uns zumeist vertraut.

Daher könnte man annehmen, dass Mind over Mayhem aus dem üblichen Schema heraussticht. Ein großer Teil der Handlung spielt in einem kybernetischen Institut mit vielen Wissenschaftlern in weißen Kitteln. Einer davon ist ein Kind, das zu einer der wichtigeren Nebenfiguren wird. Es hält geistig mit seinen Kollegen mit und tüftelt an Robotern; das neueste Modell, MM7, wird außerdem für die Handlung relevant sein. Wie geht die Serie also damit um, ein kybernetisches Institut zu inszenieren, ohne dabei zu viele Assoziationen zur Science-Fiction zu wecken?

 

Mind Over Mayhem wurde 1974 ausgestrahlt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Kybernetik bereits mit Wieners Veröffentlichung einen großen Bekanntheitsgrad erreicht. Bis in die 1970er Jahre hat sich die Kybernetik aus den Anfängen der 1940er Jahre zu einem international kräftig wachsenden Forschungszweig entwickelt. Wie genau es dazu kam, ist umstritten. Manche Forscher vermuten einen Zusammenhang der Popularisierung zur Anwendung der Ergebnisse der kybernetischen Forschung bei der expansiven Automatisierung:

„Es ist in der wissenschaftshistorischen Literatur bisher noch nicht aufgearbeitet, wieso die Kybernetik in extrem rascher Zeit auch jenseits der unmittelbaren Anwendungsfelder bekannt und populär wurde. Es ist zu vermuten, dass hierfür die hohe Relevanz der Anwendungen (z. B. bezogen auf die Durchsetzung von Computern und auf die Automatisierung von Fabrikarbeit) maßgeblich war.“

Bei Columbo geht das Wunderkind Steve davon aus, dass in der Zukunft Roboter die Arbeit, die Menschen lästig finden, übernehmen – eine utopische, futuristische Idee. Kybernetische Forschung zugunsten des Fortschritts in der Automatisierung wird so auch hier kurz angeschnitten.

Für den Niedergang der Kybernetik gibt es mehrere mögliche Gründe. Heterogene und fachübergreifende Kooperationen, wie sie im zweiten Weltkrieg erforderlich waren, gingen mit dem Wegfall der Kriegslabors verloren. Ähnliche gemeinsame Forschungen wie während des Zweiten Weltkriegs waren so erschwert und die prägenden Forscher auf ihre Herkunftsdisziplinen „zurückgeworfen“ worden.

Ein Teil der Arbeit des Instituts bei Columbo findet ebenfalls in einem Kriegslabor statt, allerdings bloß als Simulation. Der Hintergrund ist allerdings ein anderer: Das Mansfield Amendment.

‚Vor dem Hintergrund der Oppositionsbewegung gegen den Vietnamkrieg und der militärischen Einbettung der Universitäten‘ in der Rüstung hat 1972 die Nixon-Regierung das sog. Mansfield Amendment verabschiedet: Es sah eine bessere Kontrolle staatlicher Gelder vor; insbesondere war eine ‚direkte und offensichtliche‘ Beziehung zwischen der geförderten Forschung und ihrer militärischen Anwendung nachzuweisen.

Das ebenfalls für die Regierung arbeitende Institut in Mind over Mayhem forscht tatsächlich sowohl direkt als auch offensichtlich in einem Bereich, der auf eine theoretische militärische Anwendbarkeit abzielt. Die Arbeit im war room wird nicht genauer spezifiziert, was für populären Realismus typisch ist, aber man kann sich denken, dass es darum geht, Krieg durch Computer führen zu lassen, um effektiver und effizienter mit den Ressourcen umzugehen, als menschliche Entscheider.

Doch welche Folgen hatte das Mansfield Amendment?

Mit dieser Gesetzgebung wurden die kooperativen Beziehungen zwischen Forschung und Lehre, Kennzeichen solcher Institutionen wie des MIT, eingeschränkt. …

Die politische Bedeutung dieses Schritts liegt darin, dass er enthüllte, dass der Ausgleich von Forschungs- und gesellschaftlichen Interessen innerhalb der Forschungseinrichtungen einen Elitenkonsens reflektierte, der nicht mehr haltbar war.

Diese gezielte statt diffuse Richtung wird auch in Mind over Mayhem reflektiert – genau wie jener genannte Ausgleich.

Angesichts von Steves Roboter in der Fiktion sei auch angemerkt, wie interessant die fiktionale Situation um die Entwicklung eines Roboters, der richtig programmiert fast alles könnte, was ein Mensch kann, parallel zur militärisch orientierten Forschung ist. So reflektiert Mind over Mayhem die Wege, die infolge der o. g. Gesetzgebung eingeschlagen wurden, wodurch sogar eine direkte und offensichtliche Verbindung der Columbo-Episode mit dem Mansfield-Amendmend hergestellt wird.

Aus dem zeitlichen Abstand beurteilt, hatte das Mansfield-Amendment auch allgemeiner die unbeabsichtigte Wirkung ‚of curtailing basic research in cybernetics in the U.S. and increasing funding for articial intelligence and robotics, particularly if the research had a plausible link to a military mission’.

Letzteres trifft dabei allerdings nicht auf MM7 zu. Doch das könnte damit zu tun haben, dass Steve ein Kind ist. Die meisten der den Zuschauern präsentierten erwachsenen Forscher des Instituts arbeiten hingegen im war room, abgesehen von für die Handlung wichtigeren Nebenfiguren; d. h. es gibt keine Komparsenrollen für Forscher abseits des Kriegslabors, sondern nur bzw. immerhin diese eine Nebenrolle. Steve kann MM7 so programmieren, dass dieser alles kann – sogar Schach spielen, und auf Wunsch auch schlechter als Steve.

Der Erfolg der praktischen Anwendungen dieser Prinzipien regte intensive weitere Forschung an, die dann den Bau von intelligenten Maschinen ermöglichte, die logische Theoreme beweisen und  Schach spielen konnten.

Diese (Selbst-)Verortung der Episode in ihrem historischen Kontext unterstreicht den Anspruch der Serie an sich selbst, in einer den Zuschauern vertrauten, ‚realistischen‘ Welt zu spielen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Verweis auf künstliche Intelligenz, die spätestens seit 2023 in aller Munde ist und verstärkt in Medien rezipiert wird, wie bspw. bei Mission Impossible, allerdings, ohne dass ihre Grenzen und das, was sie denn kann, so klar sind. KI – die Kybernetik der heutigen Zeit?

 

Columbo vs Dr. Cahill

Columbo, der „Disheveled Detectice“, passt gewöhnlich nicht in das Umfeld, in dem er ermittelt. Einer der drei kreativen Impulse der Serie ist die anmaßende Schurkerei, die durch die Autoren und Gastschauspieler in die Serie eingebaut wurden, indem wohlhabende Persönlichkeiten aus Kalifornien als Gegenspieler genutzt wurden.

So ermittelt Columbo üblicherweise in der sozialen Oberschicht, wo er durch seine Erscheinung heraussticht. Sowohl sein Aussehen – der knittrige Regenmantel und die Zigarre aus dem Supermarkt, die etwas zu langen, wuscheligen Haare, sein namenloser Hund („We just say ‚hey‘ or ‚dog‘ or whistle“) – als auch sein exzentrisches Verhalten führen dazu, dass sein Gegenspieler zu einer Fehleinschätzung von Columbos Fähigkeiten gelangt.

Falk wanted the questions at the crime scene to possess Columbo so completely that he lost track of everything else, encouraging the murderer to think, ‘This Columbo can’t be a cop–he’s too dumb’.

Peter Falk möchte erreichen, dass seine Rolle als ein „ordinary Joe” erscheint; seine für den Antagonisten fragwürdigen Fähigkeiten offenbaren sich erst nach und nach während der Handlung, bis Columbo am Ende das entscheidende Detail erklärt, mit dem sich der Mörder verraten hat.

„This character, even if he looked quite humble, was in fact really intimidating. He knew how to catch the killer off guard.”

Das kybernetische Institut ist für Columbo „a place full of geniuses”, von dem er in der Zeitung gelesen hat. Seine Erwartung wird übrigens auch erfüllt werden, wenn er auf das junge Genie Steve und dessen Roboter trifft. Ansonsten braucht er Hilfe, um mit seinem ungewohnten Umfeld zurechtzukommen, die er dann auch von Steve bekommt. 

Dieser erzählt, dass er als junges Genie befremdlich auf andere wirkt und erwartet auch eine solche Wirkung des Roboters: „He’s not a monster.“ Columbos Reaktion fällt allerdings gegenteilig aus: „That’s the most wonderful thing I’ve ever seen.” Wie gewöhnlich drückt Columbo offen seine Bewunderung für seine ungewohnte Umgebung und die herausragenden Persönlichkeiten, die er bei der Arbeit trifft, aus.

Am Tatort hingegen braucht Columbo Hilfe von niemandem: Diesen inspiziert er gekonnt und bemerkt schnell alle entscheidenden Details. Andere können ihm dabei nicht helfen, selbst wenn sie ihre Hilfe anbieten, wie es der Mörder üblicherweise macht, um zu versuchen, Columbo auf eine falsche Fährte zu locken, wobei dieser immer einen Schritt weiter denkt und im weiteren Handlungsverlauf an einen Punkt gelangt, wo dem Mörder weniger schlüssige oder gar keine Antworten auf Columbos Fragen mehr einfallen. Dieser muss alle Fragen, die ihm die auffälligen Kleinigkeiten aufwerfen, selbst beantwortet bekommen und ist darin letztendlich auch erfolgreich. Seine Stärke liegt nicht im Umgang mit Steuerungstechnologie, sondern im Zwischenmenschlichen. So erkennt er Margarets Lüge; und so ‚erzwingt‘ er letztendlich Cahills Geständnis dadurch, dass er erfahren hat, in welchem Verhältnis die involvierten Personen zueinander stehen.

 

Dr. Cahill dagegen ist ein seriöser, dominanter, die meiste Zeit ruhiger Mensch und Direktor des Instituts, bzw. um Seriosität bemüht, da er durchaus wütend wird, als er Columbo glaubt, dass ein Zeuge seinen Sohn mit seiner Freundin gesehen habe. Cahill ist autoritär und nutzt seine Autorität gegenüber Mitarbeitern wie auch seinem Sohn geschickt; letzteren versucht er, durch ein seltenes: „Very proud“, darin zu bestärken, seinen Betrug nicht zuzugeben. Er ist nämlich nicht nur Direktor, sondern auch ein Vater, der seinen Sohn liebt und ihm zum Erfolg verhelfen will. Dazu versucht er, einen Betrug zu verheimlichen, wozu er wiederum sogar einen Mord begeht.

Bei der Arbeit mit Maschinen unterlaufen Cahill keine Fehler. In der ersten Szene weiß man noch nicht, was für Knöpfe er drückt und was für Maschinen er bedient. Man soll das auch gar nicht wissen. Wenn man ihre Bedeutung  mit der Zeit doch mitbekommt, soll man auch nicht alles, wie was funktionieren soll, ganz genau mitbekommen, denn das ist kompliziert. Vermutlich haben die Autoren und Designer das auch nicht komplett durchdacht.

Cahill ist im Umgang mit Computern sogar in einem so hohen Maß geübt, erfahren und präzise, dass es ihm gelingt, ein Programm zu schreiben, durch das MM7 seine Arbeit für den war room übernimmt. Das wiederum gelingt sowohl Cahill als auch MM7 so fehlerlos, dass Cahills Fehlen gar nicht auffällt. Es macht keinen Unterschied, ob Cahill dort sitzt, oder ein Roboter, der das macht, was Cahill verlangt bzw. wofür Cahill ihn programmiert hat. Und das gelingt bei diesem komplizierten Interface nur jemandem mit genügend Expertise. Im Gegensatz dazu kann Columbos Hund, der Columbos Equivalent zu Cahills Roboter darstellt und der in dieser Folge das macht, was er will, weder von seinem Herrchen noch von Experten ‚programmiert‘ werden.

Doch wenn es nicht mehr um den Umgang mit Computern und Programmen geht, macht Cahill Fehler. So raucht er eine Zigarre und hinterlässt ein Streichholz am Tatort, das Columbo als Zigarrenraucher sofort als eines erkennt, das genutzt wurde, um eine Zigarre anzuzünden; sobald Cahill sich ihm als Zigarrenraucher verrät, verhärtet sich Columbos Verdacht gegen ihn. Eine Logik hinter dieser Aktion Cahills ist schwer zu erkennen und wäre auch bloß Spekulation, da er hierfür keine direkte Begründung liefert.

An solchen Punkten merkt man, dass man es nicht mit der kunstvollsten Episode Columbo zu tun hat, aber die Zigarre erfüllt immerhin eine strukturelle Funktion. Fehler bei Ausübung des Mordes – früher Hinweis für Columbo – späte Erklärung für den Täter.

Der Mord selbst ist in vielen Details unbedacht. Cahill lacht noch, als Columbo ihn nach der Pfeife des Toten fragt. Sie liegt in viele Teile zerbrochen vor dem Haus, wo Cahill seinen Kollegen überfahren hatte. Daher erklärt sich auch die Schuhcreme an der Tür in den ansonsten sauberen Wohnräumen – noch ein Fehler Cahills. Nicholson wurde draußen ermordet und dann ins Haus getragen.

Die Dellen, die am Auto seines Kollegen hinterlassen wurden, als dieser überfahren wurde, fallen Cahill zunächst nicht einmal auf. Er erfindet somit schnell einen neuen Grund für sie, der auch plausibel wirkt; allerdings ist dieser für Columbo bei Weitem nicht glaubwürdig genug, denn dafür hat Cahill vorher schon zu viele Fehler gemacht.

Doch nicht nur beim Mord unterlaufen ihm Fehler, sondern auch schon in der Beschaffung seines Alibis: Cahill schickt Steve ins Kino, behandelt ihn dabei wie ein Kind, was dieses dann auch Columbo mitteilt. Columbo findet das interessant. „When people do something for the first time, detectives always been curious.“ Cahills Stärke liegt im Umgang mit den Geräten am Institut, aber seine sozialen Interaktionen mit seinem Vorhaben, einen Mord zu begehen, oder mit dem Wissen, einen begangen zu haben, sind unsauber und verraten ihn.

 

Szenenbild

Man könnte vermuten, dass Columbo angesichts seiner realistischen Konzeption für die Inszenierung eines kybernetischen Instituts eine den Erwartungen gegenläufig entworfenen Kulisse einsetzt. Doch die Computergrafiken und Schaltpulte erinnern weniger an die Orte anderer Columbo-Episoden, sondern vielmehr an den Kontrollraum in Dr. No oder die Technik in der Science-Fiction-Serie Star Trek (und ihren Nachfolgern): Bildschirme flimmern, Knöpfe leuchten bunt, Bänder rattern. Doch der Höhepunkt ist zweifellos der Roboter, bei dem sich die Funktion mancher Details des Designs nicht direkt erschließt. Wofür auch immer er programmiert wird, er folgt den Anweisungen. Und alle am Institut mit dem Roboter arbeitenden Personen können ihn präzise genug programmieren, dass er bei seiner Arbeit keine Fehler macht.


 

Kontrastiert wird das Science-Fiction-artige Institut durch die recht simplen Wohnräume, die von Nebenfiguren bewohnt werden. Damit ist nicht gemeint, dass diese nicht detailreich ausgestaltet seien; sie unterstützen bloß die Charakterisierung der Figuren. Anfangs wird Dr. Nicholson in seiner Garage gezeigt, wo er am Experimentieren ist. Von modernen Computergrafiken und bunter Technik ist hier schon nichts mehr zu sehen. Nur ein alter Hase in seinem Labor.

Allerdings bemüht die Folge sich auch, sich von der fantastischeren, utopischen Kybernetik-Rezeption in der Fiktion abzugrenzen. Bereits die ersten Aufnahmen zeigen Dr. Cahill allein an der Arbeit in einem Kontrollraum. Die bunten Knöpfe auf dunklem Hintergrund erinnern an Star Trek: Durch diese dunkle Umgebung kommt das bunte Leuchten stärker zur Geltung. Allerdings sind im kybernetischen Institut bei Columbo auch viele helle Wände.

Die Brücke der Enterprise

 

Nach einem kurzen Moment geht die Kamera auf Distanz und zeigt somit mehr von der Wand vor Cahill, sodass der Anteil, den die mit bunt blinkenden Knöpfen versehene Wand einnimmt, etwas kleiner wird; die helle Wand links ergänzt zudem die helle Wand rechts. Die bunten Knöpfe werden auf den Bereich dazwischen begrenzt.



Es folgt ein kurzer Schnitt in den war room; dazu gleich mehr. Doch zunächst sollte erwähnt sein, dass in der nächsten Aufnahme Cahills überhaupt keine bunten Knöpfe mehr zu sehen sind: Viel Weiß, etwas Schwarz, eine braune Holztür und Cahill in grauer Weste und aufgehellt blauem Hemd: Kaum Farbe.

Alle Räume sind zudem hell beleuchtet. Mit der bunten Brücke des Raumschiffs Enterprise (oder anderen dortigen Räumen) hat das kybernetische Institut bei Columbo also plötzlich gar nichts mehr zu tun. Es wird nicht auf spektakuläre Farben und die Faszination Computertechnik gesetzt. Gänzlich zurückgewiesen wird das faszinierende Potenzial aber dennoch nicht.


 

Im war room ist das ganze etwas anders.

Viele Wissenschaftler in weißen Kitteln arbeiten, bunte Knöpfe blinken, Bildschirme flimmern. Aber im Gegensatz zu Star Trek und zu Cahills Arbeitsraum sind hier die Hintergründe der bunten Knöpfe hell, was zweierlei Auswirkungen hat, die im Rahmen der Konzeption der Serie sicherlich gewünscht sind:  Erstens wirkt der helle Hintergrund nüchterner bzw. klinischer. Diese Sachlichkeit stellt quasi das Gegenstück zur fantastischen Gestaltung von Kontrollräumen in der Science-Fiction dar. Zweitens kommen die bunten Farben schwächer zur Geltung. Statt dass sie eine dunkle Umgebung erleuchten und in bunte Farben tauchen, werden die Farben von der Helligkeit absorbiert.

Der war room

 Im Kontrollraum in Dr. No wird ebenfalls viel mit Weiß bzw. heller Farbe gearbeitet. Dort geht die Kamera allerdings häufiger auf größere Distanz, um die beeindruckenden Räume gänzlich zu fassen. Der war room bei Columbo hingegen präsentiert sich nie als großer, aufwändiger Raum; die Kamera zeigt zwar mehrere Stationen des war rooms, geht aber nie größer auf Distanz.

Dr. Nos Kontrollraum

 

Insgesamt wird das Institut also nicht als utopisch inszeniert, dafür wirkt der klinische Stil entfremdend. Wird das kybernetische Institut also als realistisch statt utopisch gezeigt?

Um diese Frage zu beantworten, sollte der Handlungsstrang um Steve genauer betrachtet werden. Zu Steve soll Columbo Vertrauen aufbauen und Steve zu ihm. Die Figur muss jemand von innerhalb des Instituts sein, durch die Columbo letztendlich relevante Einzelheiten zu diesem ihm unbekannten Ort erfährt. Die künstlerische Entscheidung, für diese Funktion ein Kind einzusetzen, wirft Fragen auf. Warum ist Steve ein Kind? Und warum hat Steve diesen Roboter gebaut?  

Es erscheint denkbar, statt ein Kind auch einen Erwachsenen diese Rollen erfüllen zu lassen. Doch dadurch, dass Steve ein Kind ist, werden interessante Möglichkeiten, die Geschichte voranzubringen, bedingt:

Zum einen schickt Cahill Steve, um sich die Ausführung seines mörderischen Plans zu ermöglichen, ins Autokino. Dabei behandelt er ihn wie ein Kind, was Steve bemerkt. Später teilt er dies Columbo mit, als Columbo den Fehler seines Vorgängers wiederholt und Steve auch wie ein Kind behandelt. Zudem ist der Roboter zwar für die Handlung insofern notwendig, als er Cahill ermöglicht, sich ein Alibi zu beschaffen.

Doch das hätte auch auf eine andere Art geschehen können und es ließe sich die Handlung sicherlich auch auf andere Arten organisieren. Blickt man jedoch auf frühere Abschnitte zurück, so habe ich festgestellt, dass Steve der einzige den Zuschauern präsentierte Mitarbeiter des Instituts ist, der nicht am war room mitarbeitet. Er forscht quasi als einziger ohne Bezug zur militärischen Anwendung. Cahills Assistent Ross (Lou Wagner) wird hiervon ausgenommen, da seine Rolle stark von Cahill abhängig ist und zu wenig Eigenständigkeit aufweist. Ross ist ein Assistent, kein Forscher.

Möglicherweise zielt die Episode mit dem boy genius in die fantastische Richtung, da ein Kind mit seinen Fähigkeiten etwas Fantastischeres ist, wovon sich die Serie ansonsten distanziert. Steve agiert außerhalb des historischen Kontextes und wird dadurch, dass er ein Kind ist, stärker vom realistischen Part des Instituts abgegrenzt.

Um den Kontrast von Star Trek und Columbo abzuschließen, sei erwähnt, dass der Roboter hier keine ‚Persönlichkeit‘ hat, also etwa er boshaft oder strikt logisch denkend ist (wie Computer M5, Nomad o. ä., ganz zu schweigen von Kubrick und 2001); sondern ein Automat, den man unter bestimmten Möglichkeiten programmieren kann, spezielle Dinge zu erledigen. Einzig seine Form scheint dem Menschen nachempfunden. Damit grenzt sich die Serie auch von der Science Fiction ab. 

Der Roboter MM7


Es ist also gut möglich, dass Steve und MM7, Steves Roboter, ein wenig die Faszination ausdrücken sollen, die von der Kybernetik ausgeht. Besonders in einer Szene fällt eine Anknüpfung an die Faszination für Dinge, die durch Computertechnik vielleicht ermöglicht werden können, auf:

Columbo versucht mithilfe von Steve, durch MM7 den rätselhaften Mord aufzulösen: Es wurde also, was über den Mord bekannt war, in den Computer eingegeben, doch der antwortet bloß: „Does not compute“. Daher beschließt Steve, im Laufe der Handlung mehr bzw. alles einzugeben, was sie über den Fall wissen, und erhofft sich dadurch eine Antwort. Als Columbo dadurch erfährt, dass der Roboter das ausführt, wofür er programmiert wird, bekommt er eine Idee: „Something just computed.“ Dann probieren Columbo und Steve aus, ob MM7 auch die Steuerung des war room übernehmen könnte, was auch gelingt, womit Columbo Cahills Alibi platzen lässt.

So interessant Steves Idee auch ist, sie führt zunächst nicht weiter. Die aus persönlichen Gründen lange von allen Seiten geheim gehaltene Tatsache, dass Cahills Sohn seine Arbeit, für die er seine Auszeichnung erhalten sollte, von einem toten Kollegen gestohlen hat, ist zwar den Zuschauern bekannt; Columbo erfährt aber erst davon, als Neil seinen Betrug öffentlich gesteht. Im Zentrum der Geschichte über futuristische Forschung steht also eine zeitlose universale Geschichte eines autoritären Vaters, der seinem Sohn zum Erfolg verhelfen will, und deshalb einen Mord begeht, und Neils Nebenhandlung, mit sich selbst im Reinen zu sein, und daher seine Lüge offen zugibt.

 Beweisen wird Columbo den Mord letztendlich auch nicht. Vielmehr übt er Druck auf Cahill aus, als er dessen Sohn verhaftet. Ohne das entsprechende Wissen über die Hintergründe ergibt alles keinen Sinn. Doch emotional handelnde Menschen sind vielleicht nichts, was für einen Roboter Sinn ergeben muss. Außer man programmiert ihn, das einzubeziehen?

 

Die … analysierten Fernsehserien zeigen, dass das Verhältnis von Mensch, Körper, Kultur und Medientechnik aus unterschiedlichen Richtungen taxiert werden kann, es im Kern allerdings stets um die drängende Frage nach einer kybernetischen Evolutionsdynamik in der modernen, informationstechnologisch bestimmten Welt geht.

Bei Columbo hingegen wird die Kybernetik auf eine Folge eingegrenzt; in dieser Folge bleibt auch die Kybernetik auf das Institut eingegrenzt, wie die Schaltpulte auf eine bestimmte Fläche der Wand in Dr. Cahills Kontrollraum, und strahlt nicht ins Privatleben, etwa das Design der gezeigten Wohnungen der Institutsmitarbeiter.

Kybernetik ist streng lokalisiert und wirkt nicht nach außen. Außerhalb erfährt man in der Zeitung zwar von manchen Dingen, die das Institut betreffen, aber eine stärkere Wirkung in die Gesellschaft steht dem kybernetischen Institut nicht zu, weder in der Diegese noch in der Inszenierung.

Außer dem Außen soll aber auch etwas zum Inneren gesagt werden:

Die Arbeit im kybernetischen Institut wird vom Gegensatzpaar reduziert beschrieben; die Beschreibungen bleiben auch äußerst vage. Cahill bezeichnet das Institut als „think tank“; leider tangieren nur der war room und Steves Roboter den Fall, so bleiben die Tätigkeiten der anderen Wissenschaftler verborgen.  Wenn Columbo das Institut als „a place full of geniuses”, von dem er in der Zeitung gelesen hat, bezeichnet, hat Cahill eine Antwort im Mund, spricht sie aber nicht aus. Möglicherweise wollte er Columbo hier korrigieren, doch die Diskussion würde vielleicht zu weit führen. Daher verzichtet Cahill auf die Diskussion, die die Autoren wiederum dem Zuschauer ersparen wollten.

Dabei sei angemerkt, dass die Banalisierung hier zwar in Kauf genommen wird, allerdings auf einen komplexeren Hintergrund verweist. Die Handlung der Episode spielt so auch in einem sehr kleinen Teil des Instituts, wohingegen das meiste im Off verborgen bleibt. Columbo akzeptiert die größere Komplexität der angewandten Kybernetik; die Charaktere hingegen vereinfachen.

So gehört es auch zum künstlerischen Realismus, als Gegenrichtung zum Idealismus zu desillusionieren. Steves weitere Versuche, bei seinem Wissensstand MM7 den Fall lösen zu lassen, hätten in eine Sackgasse geführt. So grenzt sich Mind over Mayhem klar von der Science-Fiction ab; die Columbo-Folge bleibt dem Stil der Serie treu.

Kybernetik bleibt isoliert. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf konkreten Dingen, zu diesem Zeitpunkt auf der Simulation eines Krieges zum Testen von Aktionen und Reaktionen. Das ist alles realistisch, aber auch reaktiv. Fantastisch ist die zukunftsweisende Forschung abseits davon.

 .....

JH

PS: Mein nächster Beitrag wird sich mit Friedrich List beschäftigen. Ich werde eine Dokumentation schauen, Bücher lesen, und das alles dann interessant zusammenführen.


Lesekram

Brunsdale: Icons of mystery and crime detection.

Medina: Cybernetic Revolutionaries.

Schramm: Genese und „Verschwinden“ der Kybernetik

Spear: Die Forschungsuniversität, der freie Markt und die Entdemokratisierung der höheren Bildung in den USA. Eine amerikanische Tragödie, http://staff-www.uni-marburg.de/~rillingr/wpl/texte/spear.htm

Stollfuß: Cyborg-TV. Genetik und Kybernetik in Fernsehserien

Von Glasersfeld: Kybernetik

 

Empfehlungen

Columbo: Mind Over Mayhem (Teuflische Intelligenz, USA 1974)

Star Trek: Krieg der Computer (S01E23) und Computer M5(S02E24)

Dr. No (GB 1962)

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