Vom 13. bis zum 17. Februar reise ich zur Berlinale nach Berlin. Um 11:30 Uhr kommt mein Zug an. Bis zum Check-In in meinem Hotel ist noch Zeit, bis zur Eröffnung der Berlinale sowieso. Also fahre ich durch das verschneite Berlin und setze mich in ein Kino. Es läuft ein Film, den ich nicht auf dem Zettel hatte, bis ich den Trailer vor der Vorstellung von Konklave gesehen habe. Der mich überrascht hat. Der mein Interesse geweckt hat. Titel des Films:
Maria
Am Anfang des Films sehen wir eine unkenntliche Leiche auf dem Boden einer opulenten Wohnung, einen Diener und ein Hausmädchen, Polizisten im Hintergrund. Die Figuren bleiben grundsätzlich, wie es fürs Gegenwartskino typisch ist, fixiert auf ihren Positionen, nur die Kamera bewegt sich. Wir schätzen, die Person auf dem Boden ist die tote Maria. Dann springen wir eine Woche zurück in die Vergangenheit:
Der Film erzählt die letzte Woche im Leben von Maria, wobei immer wieder Rückblenden in Schwarz-Weiß einsetzen, um wichtige Momente aus ihrem Leben und Opernauftritte auf dem Zenit ihres Schaffens zu zeigen. Die Maria der Gegenwart hat eine schwache Stimme. Wenn sie singt, findet ihr Hausmädchen ihren Gesang wundervoll. Dadurch bestärkt, besucht Maria regelmäßig den Pianisten im Theater, um in der Mittagspause zu testen, ob ihr Gesang noch auf Vorstellungsniveau ist. Zugleich kämpft sie aber auch mit ihrem schwachen Gesundheitszustand. Dieser führte zu einer Tablettensucht. Und diese dazu, dass Maria nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Halluzination unterscheiden kann. So lässt sich Maria von einem Fernsehreporter begleiten, der aber nur eine Halluzination ist und den Tod symbolisiert. Er drehe einen Dokumentarfilm über Marias letzte Tage. Kurz vor ihrem Tod wird er ihr sagen, der Film sei fast fertig.
Dies ist die Grundlage, auf der der Film Figuren erkunden will – vor allem Maria – aber die Figuren bleiben uns trotzdem fremd. Es ist nur eine oberflächliche Erkundung. Selbst, wenn Maria viele Tränen vergießt, bleibt die Entwicklung der Figur unklar. Wir sehen, dass sie die Illusion, die Halluzination als Schutz vor der Realität nutzt – aber viel mehr erfahren wir nicht über sie. Wir schauen ihren Status quo an, statt sie bei einer Entwicklung zu begleiten, die die Ausgangssituation des Films durchaus nahelegt: Von der Hoffnung, wieder aufzutreten zu der Enttäuschung, dazu nicht mehr in der Lage zu sein.
Es gibt immer wieder Gesangsszenen, sowohl in der Gegenwart mit der schwachen Stimme als auch in der Vergangenheit mit einer eindrucksvollen Stimme einer Opernsängerin. Aber durch diesen Gesang wird kaum etwas erzählt. Das Einzige, was die Gesangsszenen beisteuern, ist ein Vergleich zwischen dieser Gegenwart und der Vergangenheit. Diesen Unterschied bemerkt das Kinopublikum schnell. Danach ist die Funktion des Gesangs für den Film repetitiv.
In einer Rückblende sehen wir Maria als Mädchen. Sie und ihre Schwester singen. Die Schwester singt amateurhaft, begleitet den Gesang mit Tanzbewegungen. Maria sitzt ganz still und singt mit einer wundervollen Stimme. Wir befinden uns in ihrer Jugend in Griechenland, ihnen gegenüber sitzen zwei SS-Soldaten, die Mutter prostituiert ihre Töchter. Maria wird zu ihrer Mutter immer ein schwieriges Verhältnis haben. Später sind einer der SS-Männer und Maria in Marias Schlafzimmer. Sie macht Anstalten, sich auszuziehen, doch er stoppt sie, befiehlt ihr, zu singen. Maria singt. Der SS-Mann sitzt ihr schließlich zu Tränen gerührt gegenüber.
Diese junge Maria wird von der Griechin Christiana Aloneftis gespielt; später sehen wir ihren ersten Auftritt als Opernsängerin. Man erkennt zunächst nicht, dass es die junge Maria sein soll. Sie ist etwas dicker, schwarzhaarig, mediterran. Den Verdacht, dass es Maria ist, leugnet man, zu stark ist der Bruch von Aloneftis zu Angelina Jolie, die die spätere Maria spielt, anders als die jüngere Maria oder die echte Maria makellos und etwas kühl, mittlerweile auch dünn, tagelang nichts essend. Der Schauspielerwechsel von Aloneftis zu Jolie wirkt unsauber, erinnert an den Wechsel von Joseph Gordon-Levitt zu Bruce Willis in Looper. Die echte Maria sehen wir auf 8mm-Filmaufnahmen in den Credits am Ende; man bekommt bei diesen Bildern den Eindruck, als sei Angelina Jolie eine Fehlbesetzung. Jolie bemüht sich, weint viel, aber es fehlt die klare Dramaturgie dieser Rolle. Ob sie auf Anweisungen der Regie spielt oder ob ihr diese Führung durch die Regie fehlt, wissen wir nicht.
Eine andere wichtige Rückblende erzählt von ihrem Kennenlernen mit dem griechischen Millionär Aristoteles Onassis. Onassis, alt, klein und hässlich, wie er sich selbst vorstellt, verführt Maria. Sie wird schwanger, hat eine Fehlgeburt, und Onassis hintergeht sie. Noch im Sterben gesteht er ihr seine Liebe. Doch warum diese Ereignisse Maria so sehr belasten, dass die vergangene Beziehung mit Onassis für immer wie ein Schatten über ihr schweben, bleibt auch unklar.
Gesang ist alles in Marias Leben. Sie singt für ihr Hausmädchen, für den Pianisten in der Mittagspause im Theater, für einen staunenden Beleuchter, für einen frechen Journalisten, und einfach aus ihrer Wohnung heraus für die Leute unten auf der Straße. Sie dürfe aber nicht mehr singen und erst recht nicht auftreten. Das verbietet ihr ihr Arzt. In ihrem Zustand könne der Stress des Singens sie umbringen. Damit besiegelt sie ihr eigenes Todesurteil. Aber Gesang allein reicht Maria nicht. Es ist das Auftreten vor Publikum, der Perfektionismus, der sie in den Tod treibt, die Gewissheit, nicht mehr an den Glanz vergangener Tage anknüpfen zu können. In einer anderen Welt hätte sie vielleicht bis ins hohe Alter einfach aus Freude am Singen die Mittagspausen im Theater verbracht und dort gesungen – alternd, nicht perfekt, aber einfach nur für sich statt für andere.
Ich habe erwähnt, wie der Trailer für den Film der Grund war, dass ich mir den Film angeschaut habe. Tatsächlich wirkt aber jeder Satz in dem Film so, als wäre er für einen eventuellen Trailer geschrieben worden. Dadurch wirken die Dialoge gestelzt. Der Film will, wie auch mit den Tränen Marias, schneller den Effekt erreichen, als langsam auf diesen Effekt hinzuarbeiten.
Was genau der moralische Konflikt ist, welche Themen diese
Biografie bestimmen und wie sie verhandelt werden, bleibt letztendlich unklar.
Darüber macht sich der effekthascherische Film keine Gedanken. Das Ergebnis ist
eine dramatische Leere.
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JH
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