Three Billboards Outside Ebbing, Missouri
Roll credits. |
Three Billboards
beginnt an dem Ort, der bald ganz Ebbing aufscheuchen wird. Nicht, weil hier
ein Mädchen im Sterben vergewaltigt wurde, sondern weil ihre Mutter, Mildred, Monate
später drei Werbetafeln mietet, um an sie zu erinnern – und auf Kosten des
krebskranken Chief Willoughby zu provozieren. Bei dieser Voraussetzung
überrascht es wenig, dass es dem Film nicht an Zynismus, Witz und Komplexität
mangelt.
Handlungsdramaturgie
Dramatik bedeutet in der heutigen Alltagssprache etwas
anderes als in der Fachsprache. Die Alltagsbedeutung ist aber daher
interessant, dass der früher für die Bühne tätige Martin McDonagh in seinen
Filmen die Handlungen zu „dramatisieren“ weiß. So zeigen sich seine
Hintergründe als Dramatiker (oder, im US-Sprachgebrauch: dramaturge) an der Art, wie er künstlich/künstlerisch stilisiert
eine diegetische Realität präsentiert, in der sich etwas klassisch
Konstellationen für verbale Schlagabtausche mit fein geschliffenen Dialogen
ergeben.
Insgesamt ist Three
Billboards eher geschlossen, was an einigen Stellen für etwas Reibung
sorgt, wenn ein Handlungsstrang nicht erkennbar irgendwo hinführt. Dafür zeigen
sich auch viele offenen Tendenzen, die vielleicht sogar schon am Anfang
beginnen; außer dem Anfang wird es aber eine noch prominentere Stelle geben, an
der der Film seine Offenheit dramaturgisch gewinnbringend einsetzen kann.
Die Handlung wird größtenteils von den Charakteren
vorangetrieben. Bevor weiterhin die Handlungsdramaturgie untersucht wird, muss
also die Figurendramaturgie beleuchtet werden:
Figurendramaturgie
Manchmal bekommen Filme Probleme, die versuchen, ihren
Figuren Tiefe zu verwehren, dann aber in Situationen gelangen, wo ihre Figuren
eine solche bräuchten, was dann in Kitsch oder Klischees endet. Andere Filme
geraten in die Situation, dass sie einer oberflächlich angelegten Figur Tiefe
geben wollen, obwohl die Umstände dafür unpassend sind und der Film sich beim
Angriff auf diese Umstände selbst schadet. Three
Billboards vermeidet diese Probleme mit einer interessanten und dabei
durchaus schlüssigen und somit überzeugenden Strategie:
Erst werden die Figuren als markante Charaktere präsentiert,
die so schon unser Interesse wecken können, bevor der Film ihnen Tiefe gibt.
McDonagh, Regisseur und Autor des Films, behält dabei die Übersicht über seine
Figuren. Jeder bekommt eine tiefere Dimension und ist markant genug, um länger
im Gedächtnis zu bleiben. Gleichzeitig ufert diese Herangehensweise nicht aus,
da entweder auf persönlicher oder räumlicher Ebene eine Vernetzung der
wichtigsten Figuren stattfindet.
Eine weitere Stärke des Films im Umgang mit seinen
Charakteren: Alle haben Rückgrat, alle haben ihren Stolz und begegnen sich mit
einer gewissen Wertschätzung. Dass die Menschlichkeit zum Hauptmotiv eines
Films wird, der sich eines solchen Themas annimmt, ist eine wohltuende Wahl: „Wir
sind im Krieg“, deutet Willoughby (mal wieder als Cop besetzt: Woody Harrelson)
die Situation mit Mildred. Doch auch im Krieg gibt es noch Regeln. Obschon sie
auf professioneller Ebene hart miteinander ins Gericht gehen, beherrscht doch
ein respektvoller Umgang das private Miteinander der Charaktere.
Diese oben beschriebene Art der Fokalisierung der Figuren ist
beim Polizisten Dixon besonders auffällig. So erscheint er zunächst als
Witzfigur. Als solche hätte er bereits einen berechtigten Platz in der
Konstellation, doch weiß der Film seinen Figuren stets eine weitere Dimension
und somit Tiefe zu geben. Dixon ist zunächst ein gewaltbereiter Rassist und
nicht ganz so helles Muttersöhnchen zugleich. Im ersten Drittel finden viele pechschwarze Witze
auf seine Kosten statt:
Mildred: “So
how's it all going in the nigger- torturing business, Dixon?”
Dixon: “It's
'Persons of color'-torturing business, these days, if you want to know. And I didn't torture nobody. ”
Ausgerechnet mit ihm lässt 3 Billboards
uns irgendwann sogar mitfiebern, was sich sogar aus der Handlung ergibt
und absolut schlüssig erscheint. Das ist zynisch, das ist bitterböse, und zugleich
ist es irgendwo auch nett und vielleicht sogar respektvoll. So mag Willoughbys
Meinung über Dixon zunächst überraschen. Wir werden aber noch verstehen, dass
sie passend ist, da dieser ihn schließlich besser kennt, als wir.
Rhythmus
Der Film weist eine komplexe Dramaturgie auf und spielt
dabei mit seinem Rhythmus. Er arbeitet viel mit unvorhersehbaren Wendungen, die
zwar überraschen, aber immer ins Geschehen passen und nie deplatziert wirken. Die
tiefgründigen Charaktere steuern sie herbei, machen sie glaubwürdig und zwingen
die weiteren Figuren zu Reaktionen. So tragen sie die Handlung des Films voran.
Dieser kann so mal mit schnellerem, mal mit ruhigerem Rhythmus Dynamik erzeugen
und diese am Ende noch einmal aufziehen. Langeweile kennt 3 Billboards nicht. Die vielen Wendungen
halten effektiv die Aufmerksamkeit hoch und sind zuweilen sogar äußerst
bewegend.
Erzählweise
Trotz seiner Herkunft von der Bühne nutzt McDonaghs Film
immer wieder filmische Erzählweisen. Schnitte, die getimt sind, wie in einer Komödie,
obwohl der Film eine Tragödie ist, Parallelmontagen, Detailaufnahmen, längere
schnittlose Steadicam-Aufnahmen sowie eine sinnvolle Varianz zwischen Long- und
Close-Shots halten dem Film mögliche Kritiken vom Leib, die McDonagh gefilmtes
Theater vorwerfen könnten. Dieser weiß stattdessen durchaus etwas mit seinem
Erzählmedium anzufangen.
Sequenzanalyse
Um das ganze abstrakt Klingende etwas zu konkretisieren
folgt hier eine Analyse dieser dramaturgischen Struktur anhand einer für die
Handlung eher semirelevanten Sequenz.
Mit ihren Billboards konnte unser Protagonist Mildred schon
nach kurzer Zeit Aufmerksamkeit gewinnen, die sich in Beschwerden bei der
Polizei ausdrückt. Sie ist getrieben von einem Gerechtigkeitsdurst, den der
Film sie nicht stillen lässt. Ein abstraktes Ideal treibt sie in ihrer
Verbitterung an, durch die sie gerne eine Isolation in Kauf nimmt. Wenn sie
rücksichtslos erscheint, dann als Reaktion auf die Rücksichtslosigkeit anderer.
Auge um Auge, Zahn um Zahn. Dies bedeutet nicht, dass ihr nicht bewusst werden
könnte, dass Hass nur zu mehr Hass führe. Irgendwo wünscht sie sich eine
Erlösung aus diesem Sog, die manchmal sogar fast greifbar erscheint – aber nur
fast. In Ebbing gibt es nämlich keine Gerechtigkeit.
So erfahren wir in einer Szene auf dem Polizeirevier, dass
sich u.a. ein Zahnarzt bei der Polizei über ihre Plakate beschwert hat. Schnitt
zur nächsten Szene: Mildred ist gerade bei genau diesem zu Besuch. Wegen eines
wackelnden Zahns, den natürlich gezogen werden muss, wie dem Zahnarzt klar ist,
ohne dass er auch nur einen Blick in ihren Mund geworfen hat. Mit seinem
Konflikt, der größer und größer wird, ohne Lösungen anzubieten, bewegt sich 3 Billboards auf dem Feld der Tragödie,
ist aber getimt wie eine Komödie. So entsteht hier eine komische Situation, mit
der sich der Film natürlich nicht begnügt.
Wir dürfen stattdessen eine nachhaltige Charakterisierung
der Hauptfigur erleben, als sie sich wehrt und dem Zahnarzt mit dem Bohrer in
den Finger bohrt. McDonagh, der früher für die Bühne geschrieben hat, zeigt
sein Verständnis für Dramaturgie und macht dem Hitchcock-Zitat: „I like to play
the audience like a piano“, alle Ehre. Der Film weiß, an welchen Stellen das
Publikum lacht, und wo ihm das Lachen im Hals stecken bleibt, an welchen
Stellen sich die Zuschauer die Finger zusammenkneifen und wann ihnen Schlimmes
schwant, wenn sie sehen, wie die Figuren destruktiven Lebensstrukturen
ausgesetzt sind. Sein Suspense nutzt der Film gerne am Schnittpunkt zwischen
Spannung und Komik.
Natürlich taucht bald die Polizei bei ihr auf. Diese besteht
aus Chief Willoughby und Dixon, den wichtigsten Nebenfiguren. Der erste ist ein
gewissenhafter Chief, um dessen Erklärungen, wieso die Fahndung nach dem
Vergewaltiger ihrer Tochter erfolglos geblieben war, Mildred sich einen feuchten
Dreck schert. Dass er an Krebs leidet, steht außerhalb des
Haupthandlungsstrangs des Films; genau deshalb kann der Film beides später so
passend verweben. Zu Dixon wurde oben schon genug gesagt.
Willoughby erklärt ihr, der Zahnarzt, Geoffrey, würde
Anzeige erstatten wollen. Jetzt reiht der Film die Szene konsistent in seine
Thematik ein: Mildred behauptet, er sei bloß mit der Hand ausgerutscht und habe
sich selbst verletzt. Sie wissen beide, ob Mildred die Wahrheit sagt, oder lügt.
Daraus ergibt sich eine Aussage-gegen-Aussage-Situation, von der Mildred eine
Parallele zu etwaigen Vergewaltigungsfällen zieht und zynisch ergänzt, diesmal
sei es ausnahmsweise nicht die Frau, die verliert.
Eine Strafe wird Mildred für ihre Aktion nicht bekommen; der
Zahnarzt für seine versuchte Körperverletzung genauso wenig. Dies ist für den
Film so offensichtlich, dass es gar nicht weiter thematisiert werden muss.
Das ist bitterböse, wie auch, dass der Film seinen Figuren
eine Katharsis verwehrt.
Am Ende empfehle ich noch wärmstens Michael Hilles Kritik,
der meine als Quasi-Antwort dient: http://derkinoblog.de/three-billboards-outside-ebbing-missouri-kritik/
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JAH
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