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Mittwoch, 1. Mai 2019

“This fellow Keaton seems to be the whole show”


Leser, die von mir gezwungen werden, Buster Keatons Filme zu schauen (Symbolbild)
Buster Keaton, Filmregisseur, -autor und -schauspieler, wird begeistert rezipiert. David Bordwell: "In general, Keaton was the most adept of the three great comics at using cinema technology to create gags." Nur wie? 



How to Buster Keaton

Keatons Inszenierungen setzen auf visuelle Gags, die gelegentlich von ironischen Zwischentiteln unterstützt werden, da die „sichtbaren Gags“ nachhaltiger seien, so Keaton: „Manche Fans können sie noch nach Jahren schildern.“ Diese Gags werden aber nicht über eine Montage konstruiert, stattdessen zählen Keatons Filme zum "Kino der Präsenz". Daher ist die Aufgabe der Inszenierung zusätzlich zum häufig notwendigen präzisen Timing des Profilmischen, eine geeignete Kameraeinstellung zu finden. Als Beispiel für passendes Framing kann hier Daydreams genannt werden: Für die Szene, in der Buster sich wie ein Hamster im Rad in einer Schiffsschraube bewegt, wird erst eine weite Totale gewählt. Als er hilfloser wird, wird zu einer näheren Totale geschnitten.



Ein Gegenbeispiel: Im Uhr-Gag in The Haunted House etwa, als er, von einer Kundin überredet, an der Uhr über der Tresortür dreht, um das Zeitschloss zu umgehen und die Tür Buster beim Öffnen vom Stuhl haut, auf den er sich stellen musste, um an die Uhr zu gelangen, traut sich die Kamera dafür nicht weit genug zurück, was Schnitte zur Folge hat und Gag dadurch nicht in gänzlicher Klarheit gezeigt werden kann (hätte da eine Totale Wunder bewirkt?).


Ähnliches fällt anfangs in The Boat auf, wenn das Boot aus dem Haus gezogen wird, aber zu groß ist und erst die Fassade, dann das ganze Haus einreißt: Wieder unnötige Schnitte.


Schnitte setzt Keaton sonst gewählt ein. In den genannten Negativbeispielen mussten die Schnitte noch versuchen, ein unpassendes Framing auszugleichen. In anderen Werken weiß Keaton sie als Mittel zu nutzen, um zeitliche Verbindungen der Aufnahmen vor und nach dem Schnitt zu manipulieren. Einmal folgt einem Kuss der Zwischentitel „Zwei Jahre später“ – sie küssen sich noch immer. 

In The Playhouse belichtet Keaton das Material so, dass er sich selbst gleich mehrfach synchron ins selbe Bild bringt. Hier zeigt er bereits viel Akribie.

Als Beispiel für Akribie und Präzision muss natürlich die umfallende Häuserfassade in Steamboat Bill, Jr. genannt werden.



In The Haunted House wird im vorgetäuschten Spukhaus ein Mann aus Einzelteilen zusammengebaut, der daraufhin zum Leben erweckt wird und Buster höflich die Hand reicht.
Beim strengen Schauen fällt der vertuschte Schnitt auf. Mit mehr Akribie und wechselnden Hintergründen wird ähnliches in Sherlock jr., etwa in der Traum-Szene, in der Buster Keatons Figur in wechselnden leinwandlichen Welten wandelt, auf die Spitze getrieben.


Hier vermischen sich die verschiedenen Ebenen des filmischen Raums in einer faszinierend präzisen Szene, die gleichzeitig aber die Handlung aufhält. Am Ende des Films, als Buster seine Handlungen, um seine Freundin endgültig für sich zu gewinnen, aus einem Film lernt, gibt es einen Moment, als auf der Leinwand nach einer Überblendung das Paar mit seinen in der Zwischenzeit geborenen Kindern im Wohnzimmer sitzt. Wie soll man diese Botschaft in die Realität übertragen? Buster kratzt sich verwirrt.


 Diese Szene zeigt außerdem, wie das, was auf der Leinwand stattfindet, bei Buster "bigger than life" ist. In The Frozen North oder Sherlock Jr. parodiert Keaton treffsicher das Übertriebene, doch gewiss ist das nicht alles, was in Keatons diegetischer Welt besonders auffällt, denn dazu muss auch das Surrealistische beachtet werden. Ein an die Wand gemalter Haken hält in The High Sign Busters Hut.

 In The Haunted House übernimmt sein Gehstock die Haken-Funktion. Schade, dass diese Gags, die Keaton als die "unmöglichen, dass heißt phantastischen Gags" bezeichnete, in seinen Langfilmen nicht mehr vorkommen sollten.

Häufig ist bei Buster die diegetische Welt zweidimensional, wie das projizierte Bild. In The Playhouse fehlt in einer Stelle, die diegetisch übrigens in eine Bühnenshow eingebettet war, die Tiefe, während sie gleichzeitig da ist/war. In The Goat (= Greatest Of All Time) sieht Buster Keaton ebenfalls häufig nur so viel, wie die Zuschauer, obwohl man Sekunden später erfährt, dass er mehr hätte sehen müssen oder weniger. Dann wäre die Fokalisierung aber nicht so schön.


Bei Keaton haben visuelle Gags Vorrang. Der späte Tonfilm The Railrodder zeigt, wie Keatons Tonfilme hätten funktionieren können:



Doch da Keaton in der Zeit schon bei Metro-Goldwyn-Meyer war, sollte es dazu nicht kommen. Am ehesten wäre noch Pest from the West erwähnenswert, was Keatons MGM-Zeit nicht gerade schmeichelt, wie hier doch die Dynamik und Spontanität seiner unabhängigen Filme fehlt. Wie auch, wenn man riesige und schwere Tonvorrichtungen transportieren muss?


Von Renate Kochenrath wird die Komik in Keatons Filmen treffend als "Ursache-Wirkungs-Humor" analysiert. Keatons Figur merkt Dinge spät, durch geeignetes Framing weiß der Zuschauer diese Dinge bereits vorher. Das, was Hitchcock Suspense nennt, dient auch der komischen Spannung. The Goat ist, wie bereits oben erwähnt, voll davon. Keaton beschreibt in seiner Autobiographie einen solchen fein fokalisierten Ursache-Wirkungs-Gag aus seiner Zeit als Gagman für MGM, für einen Film der Marx Brothers, wofür er Hohn erntete: "Und das finden Sie komisch?" Sagt ein Marx Brother. Gegen Buster Keaton. Buster Keaton, der von David Bordwell ald noch filmischerer Filmemacher eingeschätzt wird, als Lloyd oder Chaplin. Immerhin.

Wenn wir schon beim Wort "filmisch" sind, könnte man unter Umständen auch erwähnen, dass dieses Wort von Kracauer verwendet wird, und eines der Dinge, die dieser als filmisch ansieht, die bei Keaton populär vertretenen Verfolgungsjagden sind. Genauso wie der durch das Filmen entstehende "Real(itäts)effekt", wobei stets die Umgebung, die Szenerie mit in die Handlung einbezogen wird. Keaton: "Irgendwie drang etwas von dem atemlosen wilden Improvisieren beim spontanen Aufbau der Komödien in unsere Filme und machte sie spannend", wohingegen "geprobte Gags auf der Leinwand meistens tot wirken." Keaton arbeitete ohne Drehbuch. Spontanität und Improvisation auf der profilmischen Ebene ist genuin filmisch. Keaton ist dabei weniger konzeptorientiert, sondern pragmatisch. Das führt dazu, dass er seine Figur sich an "Analogien und Parallelismen" (natürlich optischer Natur) orientiert: "Busters analogisierendes Verhalten orientiert sich am Zeichenwert, den Gesten in unserem alltäglichen Leben besitzen. Sie überträgt er getreu auf andere Gegenstände und Objekte, wobei die Intention, die in diesem Zeichen enthalten war […], die gleiche ist. Jedoch der Zeichenwert ist begrenzt. Buster löst ihn aus seinem konkreten Zusammenhang, abstrahiert ihn, und damit wird er unsinnig. Er funktioniert nicht mehr."

Sätze werden wörtlich genommen, Gegenstände aus dem Kontext gerissen.  Und dabei beachtet Keaton als Schüler Roscoe Arbuckles, "das Vorhandene restlos zu nutzen", wie Sergej Eisenstein über die "Kettenglieder sich steigernder Komik" am Beispiel zweier Arbuckle-Filme schreibt.
Seine Filme brauchen die Möglichkeiten dieser speziellen Kunstform; nur so können sie funktionieren und ihre Wirkung erzielen und nicht anders.



Handlungsstruktur(en)

Dramaturgisch treten einige Probleme auf;  vielleicht auch, weil dieser Bereich nicht genuin filmisch ist, sondern jede narrativ-performative Kunst betrifft? 
Allerdings noch nicht in den Kurzfilmen. Diese bestehen aus zwei Akten bzw. Rollen, von denen die erste und die zweite Hälfte auch gern recht autonom sind und die erste dabei zwar das Szenario für die zweite aufbaut, thematisch allerdings ganz andere Schwerpunkte setzen kann. Am kohärentesten ist in dieser Hinsicht (und darüber hinaus) The Goat

Bezüglich der Gag-Dichte wandelte sich Keaton aber in der Übergangsphase von Kurz- zu Langfilmen. Für Kurzfilme galt also: "Je schneller die Gags in einer Komödie einander folgen, desto besser." Eine "zusammenhängende Linie" war also in den Kurzfilmen noch nicht von Nöten. 

In den Langfilmen hingegen schon: Die Filme sollten gemächlich beginnen und die Steigerung erst im letzten Drittel ihren höchsten Punkt erreichen. Einmal äußerte sich Keaton über die Gags in seinen Spielfilmen so: "Auf der ersten Rolle möchte ich keine haben", um später bei der Steigerung keine Probleme zu bekommen. Sein erster Langfilm, Three Ages, ist dabei noch der anarchischste und zeigt, dass auch Langfilme mit hoher Gag-Frequenz funktionieren.


 Erschwerend kommt hinzu, wenn die Filme hier thematisch düster sind, kommentiert von einem weniger lustigen, sondern eher bitter ironischen Zwischentitel wie am Anfang von Our Hospitality.



Da nehmen sich die Filme dann ernst, wie jene von Chaplin, was zu Keatons Stil aber überhaupt nicht passt. Denn Keatons Filme sollten sich nicht ernstnehmen, so präzise er doch parodiert und karikiert.

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