Das Editing in Buster Keatons Kurzfilmen wird ebenfalls systematisch genutzt. Es bedeutet hier erweitert die Organisation mehrerer Shots in einer Sequenz bis hin zu allen Shots des Films. Andere mögliche Begriffe wie Schneiden oder Montage sind weniger klar und haben oft eine je nach Kontext unterschiedliche Bedeutung.
Editing kann bei Keaton im Konflikt
mit dem Verzicht auf Schnitte stehen. So kann das Problem entstehen, ob eine
Handlung über einen einzigen oder mehrere Shots präsentiert und wie in beiden
Fällen geframt werden soll.
So wird ein Fall des Protagonisten in
The Scarecrow so dargestellt, dass vom Fall nichts zu sehen ist:
Im ersten Shot kippt Buster nach hinten, im zweiten ist er unten schon
gelandet. Wie bereits herausgearbeitet wurde, sind solche Tricks unüblich
für Keatons Stil der Präsenz. Das Beispiel stammt aus einem seiner früheren
Filme.
Anders ist es in The Haunted House, wo es einen kleineren Stunt gibt, für den mehrere
Shots zu einer Montage verbunden wurden: Um einer Kundin den Tresor zu öffnen,
stellt Buster die darüber hängende Uhr eine Stunde vor. Hierzu hatte er sich
auf einen Stuhl gestellt, welcher nun von der sich öffnenden Tür weggestoßen
wird, sodass er hinfällt.
Diese zweite Sequenz ist
möglicherweise in Relation zur ersten gedacht, sodass die näheren Aufnahmen der
ersten Sequenz die schnittfreie zweite antizipieren und die dortige größere
Distanz so erst ermöglichen sollten: Weil den Zuschauern beim ersten Mal in
näheren Aufnahmen gezeigt worden ist, was passiert, solle beim zweiten Mal eine
einzelne Aufnahme aus Long-Shot-Distanz genügen.
An anderen Stellen gibt es Montagen,
wenn anscheinend ein zunächst unpassend erscheinender Bildrahmen durch einen
passenderen ersetzt wird. So gibt es in The
Boat mehrere Shots, die zeigen, wie das Boot aus
dem Haus gefahren wird, ohne dass sich von Shot zu Shot der Informationsgehalt
der Bilder signifikant erhöht.
Die Reaktion der Personen ist nicht
im selben Bild wie das das Haus niederreißende Boot, zudem erschließt sich der
Mehrwert der näheren Detailaufnahme des Bootes nicht.
Auch in Hard Luck gibt es eine ähnliche Montage. Eine nähere
Aufnahme zeigt, wie Buster sich beim Angeln eine Zigarette dreht, was
unterbrochen wird, als ein Fisch anbeißt. Es wird zu einer größeren Distanz
gewechselt, die zeigt, wie er den Fisch hochzieht. Dieser soll nun als Köder
dienen. Als die Angel ausgeworfen ist, wird wieder zur näheren Einstellung
gewechselt, als sich Buster wieder mit seiner Zigarette befasst. Ähnlich wie im
obigen Beispiel hätte die erste nähere Aufnahme davon genügt, sodass beim
zweiten Mal alle Informationen in einem Bild aus größerer Distanz gewesen
wären. Stattdessen wird sogar noch ein weiteres Mal zwischen näher und weiter
weg gewechselt.
In den stärker dem Kinos der Präsenz
entsprechenden Funktionen wird das Editing passender genutzt. Eine wichtige
Funktion ist hierbei das Verstecken von Schnitten, womit Keaton offenbar
beabsichtigt, den Eindruck eines schnittlosen Shots zu erzeugen. Ein anscheinend
misslungener Versuch ist ein anscheinend unbeabsichtigter Jumpcut in The Scarecrow, als Buster in einen Heuhaufen springt. Dadurch entsteht das
folgende Bild, was daraufhin ohne weitere Ereignissen vom dritten abgelöst
wird:
Dabei verändert sich das Bild. Wie
sich aber auch in The Electric House
zeigt, spielt Continuity Editing bei Keaton, wie auch die 180°-Konvention,
stellenweise eine untergeordnete Rolle.
Um die Herstellung eines Eindrucks
eines schnittlosen Shots zu erleichtern, wird in The Haunted House eine Blickbarriere genutzt, um Dinge, die
vor der Kamera sind, somit dennoch ins Off zu versetzen: Personen in Skelettkostümen
bauen dabei aus Einzelteilen einen Mann zusammen, der daraufhin zum Leben
erwacht und Buster freundlich die Hand ausstreckt.
Der Schnitt, der zwischen den ersten
beiden Bildern der Bildschirmaufnahmen hier stattfindet, ist dennoch bemerkbar.
Die Idee jedoch hätte mit noch mehr Präzision womöglich noch täuschender
umgesetzt werden können.
In einem seiner Langfilme wird statt
einer Blickbarriere ein Extreme Long Shot und die Bewegung des Protagonisten
genutzt, um dessen Umgebung zu verändern. Die berühmte Sequenz stammt aus Sherlock Jr, wo Buster sich in einem
Kino auf einer Leinwand in einer diegetischen Welt befindet, in der seine
Umgebung per Schnitt vom einen Moment auf den anderen verändert werden kann,
wodurch er jedes Mal in unerwartete Situationen gerät.
Als Vorgänger dieser Sequenz kann das
Ende des Kurzfilms Convict 13 verstanden
werden, wo eine Überblendung stattfindet, die Buster aus seinen Träumen zurück
in die Realität holt. Hier fehlt allerdings die kinematographische Selbstreferenzialität. Auch die Technik zur Herstellung war
z.T. eine andere.
An dieser Stelle bleibt die Person
ungefähr an der gleichen Stelle im Bild, wird aber per Überblendung in eine
andere Umgebung versetzt. Da die Figur sehr weit unten im Bild platziert ist,
wirkt das Framing unbalanciert, wurde aber womöglich für den Trick so gewählt.
Tricks spielen fürs Editing ohnehin
eine ebenfalls wichtige Rolle. In Cops
gibt es nach einem längeren Shot, der den Protagonisten auf einer schwankenden
Leiter dokumentiert, einen Schnitt, durch den der Effekt erzeugt werden soll,
dass der Protagonist katapultiert wird. Die Stelle wurde vorher aus
anderen Gründen bereits erwähnt.
Tatsächlich fällt der Trick aber
durch die nicht optimal aufeinander abgestimmten Fluglaufbahnen im ersten und
zweiten Shot auf. Zudem sieht man bereits im ersten Shot, dass die Flugbahn
nicht den physikalischen Gesetzen entspricht, d.h. es wurde eine offenbar
profilmische Trucage eingesetzt. Buster fliegt so an einer versteckten Art
Seilbahn, da er sonst nicht über den Bildrand hinaus katapultiert werden und
dadurch der darauffolgende Gag, dass er auf dem Polizisten landet, mit dem er
bereits am Anfang des Films aneinandergeraten war, nicht möglich gewesen wäre.
Ein anderes Beispiel für einen
trickreichen Einsatz bietet diese Sequenz aus The
Electric House: In ebenjenem
elektrischen Haus gibt es einen Swimmingpool, bei dem das Wasser per Hebel
schnell ein- oder abgelassen werden kann. Am Ende versenkt sich Buster selbst
im Pool. Die Tochter des Hausbesitzers lässt das Wasser schnell ab, sodass
Buster wieder an die Luft kommt. Ihr Vater lässt es wieder ein, da er verärgert
über die Fehlfunktionen im Haus ist, wofür er Buster die Schuld gibt. Am Ende
lässt seine Tochter das Wasser wieder ab, doch dann ist Buster verschwunden.
Ein Schnitt folgt und ein Shot zeigt, wie Buster an einem anderen Ort wieder
ausgespült wird.
Die Bewegungen der Blätter der Bäume
spiegeln sich dabei so im Wasser, dass zusammen mit der Bewegung des Wassers
die Nutzung des Zeitraffers auffällt. Da es offenbar nicht möglich war, Keaton
für eine Präsenzszene lange genug tauchen zu lassen, werden Schnitte zu näheren
Aufnahmen genutzt, die ihn zeigen, wenn der Wasserpegel eine bestimmte Höhe
erreicht hat. Da er am Ende nicht mehr im Pool ist, ist auch kein Schnitt zu
einer näheren Einstellung mehr notwendig, als der Pegel wieder steigt.
Außerdem setzt Keaton das Editing
auch ein, um Relationen zwischen den Shots der Montage herzustellen.
Konstruktive Montagen kreieren den Raum und die Zeit für die vielzähligen
Verfolgungsjagden, etwa in The Scarecrow,
Cops oder auch The Haunted House.
Für Gags werden konstruktive Montagen
ebenfalls genutzt, wie dieses Beispiel aus The
Love Nest zeigt: Buster geht mit einem Gewehr über eine Treppe von einem
Schiff und verschwindet unter Wasser. Darauf folgt ein Schnitt zu einer
Aufnahme der Wasseroberfläche, wie Luft und Dampf aufsteigen: Buster hat
geschossen. Dann wird zurück zur vorherigen Aufnahme geschnitten, als Buster
wieder hochkommt, nur dass er diesmal einen Fisch dabei hat, den er der
Erzählung zufolge gerade erlegt hat.
Es erscheint allerdings auch möglich,
denselben Teil der Geschichte mit nur einem Shot zu erzählen, beispielswiese
durch einen Kameraschwenk nach unten, um unbalancierte Bilder sowie eine zu
unklare Präsentation der Ereignisse zu vermeiden. Die Präsentation ist in
diesem Fall durch die nähere Aufnahme sehr klar, was ohne die Detailaufnahme
zwischen den beiden Shots weniger der Fall gewesen wäre.
Ein Beispiel für Relationen, bei dem
der zweite Shots den ersten in Perspektive setzt und ihm somit erst seine
Bedeutung gibt, ist die im folgenden Absatz beschriebene Montage aus The Boat: Am Anfang sieht man Buster im
Innern eines hin und her schwankenden Boots. Darauf folgt ein Schnitt zur
Ansicht auf dieses Boot von außen: Es ist nicht auf der See, sondern noch in
der Werkstatt; ein Kind zieht an den Seilen und sorgt dadurch fürs Schwanken.
Hierdurch wird auch die vermutlich
angewandte Technik für spätere Szenen offenbart, in denen das Boot schwankt,
als Buster und seine Familie darin auf der See fahren.
Der erste Shot hält Informationen
noch zurück, erst der zweite offenbart sie. Somit kommen dem Editing auch
fokalisierende Funktionen zu. In The
Frozen North wird es
ebenfalls zu diesen Zwecken genutzt, als Buster am Anfang eine Frau umwirbt.
Durch ein Crosscutting erfahren die Zuschauer, dass ihr Mann zurückkommt.
Buster bekommt davon hingegen nichts mit.
An einer anderen Stelle im selben
Film wird elliptisch geschnitten und somit ein Teil der Diegese nicht
präsentiert, wodurch den Zuschauern ebenfalls Informationen vorgehalten werden,
die auch der Protagonist in der Szene nicht hat, obwohl er sie haben müsste:
Buster ist erneut zu der Frau gegangen. Präsentiert wird die Szene ab dem
Moment, in dem Buster bei ihr zu Hause ist; wie er hineingekommen ist, wird
nicht gezeigt, was in dem Moment allerdings auch nicht störend ist, sondern wie
eine recht übliche „Ellipsis proper“ erscheint, bei der irrelevante Ereignisse
nicht präsentiert werden. Ihr Mann kommt dann wieder heim; allerdings erfahren
die Figuren es diesmal. Also entschließt sich Buster, die Tür von innen
zuzuhalten, wie es im Bild zu sehen ist. Tatsächlich kommt ihr Mann allerdings
recht problemlos nach innen, denn Buster ist ohne es zu wissen auf der Seite
der Angel, was er hätte wissen müssen, da er zuvor selbst hereingekommen ist.
Dieser Moment wurde aber nicht gezeigt, somit wussten nicht nur die Zuschauer,
sondern auch Buster nicht, wie er stattgefunden hat. Sowie die Figuren
teilweise wie die Zuschauer nicht über den Bildrand hinausblicken können oder
die Bildtiefe nicht sehen, wissen sie in der somit auch im Editing
beibehaltenen filmischen Surrealität stellenweise auch nicht, was während der
herausgeschnittenen Zeit stattgefunden hat. Es kann aber auch sein, dass es die
Figur einfach vergessen hat.
Diese Relation zwischen Shots kommt
auch bei den immer wieder vorkommenden Zwischentitelgags zum Tragen: Dabei
werden oft Zeitangaben durch Zwischentitel persifliert. Nachdem an Deck des
Bootes in The Boat einiges
kaputtgegangen ist, setzt der Zwischentitel „Ten seconds later“ ein. Daraufhin
ist wieder alles repariert, obwohl zehn Sekunden dafür in einer afilmischen
Realität kaum gereicht hätten.
In The
Paleface geschieht dies andersherum: Während im obigen Beispiel die im
Zwischentitel behauptete vergangene Zeit zu kurz erscheint, erscheint sie
diesmal zu lang: Hier küssen sich Buster und seine wohl zukünftige Frau. Dann
setzt der Zwischentitel „Two years later“, ein. Es folgt ein Schnitt zur selben
Szene, die zeigt, wie sich die Personen noch immer küssen, statt sie etwa als
Familie mit Kindern zu zeigen.
Dies lässt sich auch als Anknüpfung
an Hard Luck interpretieren, womit
der Zwischentitel als selbstironisch bis -parodistisch in Keatons Werk gedeutet
werden kann: Dort springt der diesmal suizidale Buster von einem Sprungbrett
statt in einen Swimmingpool an den Beckenrand, wobei er ein tiefes Loch
hinterlässt. Der Zwischentitel erklärt: „Years later…“ Danach kommt Buster mit
seiner neuen chinesischen Familie aus dem Loch heraus, das demzufolge sehr tief
sein müsste.
Eine simplere Aufgabe des Editings
ist die Betonung unterschiedlicher Dinge in einer Szene, wofür mehrere
Einstellungen benötigt werden. In The
Goat findet sich beispielsweise diese Sequenz: Buster ist von seiner
neuen Freundin zum Abendessen eingeladen worden. Am Esstisch sitzend spielt er
mit ihrem Hündchen, während ihr Vater heimkommt. Dieser ist der Polizist, der
Buster in der vorangegangenen Sequenz gejagt hatte. Pro- und Antagonist sind an
dieser Stelle somit lange im selben Raum und sitzen dann sogar am selben Tisch,
ohne einander zu bemerken. In dieser bereits beschriebenen
Sequenz dient das Editing dem Zeigen mehrerer Details der Szene, die erklären,
wie es dazu kommt, dass sich die von Keaton und Roberts gespielten Figuren erst
so spät sehen.
Zusammenfassung: Das Editing wird systematisch für
Trucages oder die Auflösung profilmischer Trucages genutzt. Oft wird versucht,
Schnitte zu verstecken, um den Eindruck einer schnittlosen Sequenz zu Erzeugen,
was bei Misslingen zu unbeabsichtigten Jumpcuts führt. Um dem entgegenzuwirken,
werden Blickbarrieren, Bewegungen und größere Distanzen zwischen Kamera und
Geschehen eingesetzt. Der Höhepunkt dessen wird in der Kinoleinwandsequenz in Sherlock Jr. erreicht.
In einigen Fällen besteht eine
Spannung zwischen Framing und Editing, etwa wenn in den frühen Filmen Shots
einer Montage keinen signifikanten Mehrwert an Informationen bieten. Ansonsten
werden ebensolche Montagen auch genutzt, um verschiedene Details einer
szenischen Anordnung zu betonen. Hinzu kommen gängigere Funktionen wie etwa die
konstruktive Montage, die für die vielzähligen Verfolgungsjagden bei Keaton
noch die wichtigste ist, sowie sonstige Relationen von Shots zueinander, nicht
selten mit humoristischem Ziel, oder der klassische Verzicht auf das Zeigen irrelevanter
Momente der Diegese.
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