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Samstag, 10. August 2019

Die Montage bei Buster Keaton




Das Editing in Buster Keatons Kurzfilmen wird ebenfalls systematisch genutzt. Es bedeutet hier erweitert die Organisation mehrerer Shots in einer Sequenz bis hin zu allen Shots des Films. Andere mögliche Begriffe wie Schneiden oder Montage sind weniger klar und haben oft eine je nach Kontext unterschiedliche Bedeutung.
Editing kann bei Keaton im Konflikt mit dem Verzicht auf Schnitte stehen. So kann das Problem entstehen, ob eine Handlung über einen einzigen oder mehrere Shots präsentiert und wie in beiden Fällen geframt werden soll.

So wird ein Fall des Protagonisten in The Scarecrow so dargestellt, dass vom Fall nichts zu sehen ist: Im ersten Shot kippt Buster nach hinten, im zweiten ist er unten schon gelandet. Wie bereits herausgearbeitet wurde, sind solche Tricks unüblich für Keatons Stil der Präsenz. Das Beispiel stammt aus einem seiner früheren Filme.

Anders ist es in The Haunted House, wo es einen kleineren Stunt gibt, für den mehrere Shots zu einer Montage verbunden wurden: Um einer Kundin den Tresor zu öffnen, stellt Buster die darüber hängende Uhr eine Stunde vor. Hierzu hatte er sich auf einen Stuhl gestellt, welcher nun von der sich öffnenden Tür weggestoßen wird, sodass er hinfällt.
In einer ähnlichen Sequenz wird später anstatt mehreren nur ein Shot genutzt:
Diese zweite Sequenz ist möglicherweise in Relation zur ersten gedacht, sodass die näheren Aufnahmen der ersten Sequenz die schnittfreie zweite antizipieren und die dortige größere Distanz so erst ermöglichen sollten: Weil den Zuschauern beim ersten Mal in näheren Aufnahmen gezeigt worden ist, was passiert, solle beim zweiten Mal eine einzelne Aufnahme aus Long-Shot-Distanz genügen.

An anderen Stellen gibt es Montagen, wenn anscheinend ein zunächst unpassend erscheinender Bildrahmen durch einen passenderen ersetzt wird. So gibt es in The Boat  mehrere Shots, die zeigen, wie das Boot aus dem Haus gefahren wird, ohne dass sich von Shot zu Shot der Informationsgehalt der Bilder signifikant erhöht.
Die Reaktion der Personen ist nicht im selben Bild wie das das Haus niederreißende Boot, zudem erschließt sich der Mehrwert der näheren Detailaufnahme des Bootes nicht.
Auch in Hard Luck gibt es eine ähnliche Montage. Eine nähere Aufnahme zeigt, wie Buster sich beim Angeln eine Zigarette dreht, was unterbrochen wird, als ein Fisch anbeißt. Es wird zu einer größeren Distanz gewechselt, die zeigt, wie er den Fisch hochzieht. Dieser soll nun als Köder dienen. Als die Angel ausgeworfen ist, wird wieder zur näheren Einstellung gewechselt, als sich Buster wieder mit seiner Zigarette befasst. Ähnlich wie im obigen Beispiel hätte die erste nähere Aufnahme davon genügt, sodass beim zweiten Mal alle Informationen in einem Bild aus größerer Distanz gewesen wären. Stattdessen wird sogar noch ein weiteres Mal zwischen näher und weiter weg gewechselt.

In den stärker dem Kinos der Präsenz entsprechenden Funktionen wird das Editing passender genutzt. Eine wichtige Funktion ist hierbei das Verstecken von Schnitten, womit Keaton offenbar beabsichtigt, den Eindruck eines schnittlosen Shots zu erzeugen. Ein anscheinend misslungener Versuch ist ein anscheinend unbeabsichtigter Jumpcut in The Scarecrow, als Buster in einen Heuhaufen springt. Dadurch entsteht das folgende Bild, was daraufhin ohne weitere Ereignissen vom dritten abgelöst wird:
Dabei verändert sich das Bild. Wie sich aber auch in The Electric House zeigt, spielt Continuity Editing bei Keaton, wie auch die 180°-Konvention, stellenweise eine untergeordnete Rolle.
Um die Herstellung eines Eindrucks eines schnittlosen Shots zu erleichtern, wird in The Haunted House eine Blickbarriere genutzt, um Dinge, die vor der Kamera sind, somit dennoch ins Off zu versetzen: Personen in Skelettkostümen bauen dabei aus Einzelteilen einen Mann zusammen, der daraufhin zum Leben erwacht und Buster freundlich die Hand ausstreckt.
Der Schnitt, der zwischen den ersten beiden Bildern der Bildschirmaufnahmen hier stattfindet, ist dennoch bemerkbar. Die Idee jedoch hätte mit noch mehr Präzision womöglich noch täuschender umgesetzt werden können.
In einem seiner Langfilme wird statt einer Blickbarriere ein Extreme Long Shot und die Bewegung des Protagonisten genutzt, um dessen Umgebung zu verändern. Die berühmte Sequenz stammt aus Sherlock Jr, wo Buster sich in einem Kino auf einer Leinwand in einer diegetischen Welt befindet, in der seine Umgebung per Schnitt vom einen Moment auf den anderen verändert werden kann, wodurch er jedes Mal in unerwartete Situationen gerät.
Als Vorgänger dieser Sequenz kann das Ende des Kurzfilms Convict 13 verstanden werden, wo eine Überblendung stattfindet, die Buster aus seinen Träumen zurück in die Realität holt. Hier fehlt allerdings die kinematographische Selbstreferenzialität. Auch die Technik zur Herstellung war z.T. eine andere.
An dieser Stelle bleibt die Person ungefähr an der gleichen Stelle im Bild, wird aber per Überblendung in eine andere Umgebung versetzt. Da die Figur sehr weit unten im Bild platziert ist, wirkt das Framing unbalanciert, wurde aber womöglich für den Trick so gewählt.
Tricks spielen fürs Editing ohnehin eine ebenfalls wichtige Rolle. In Cops gibt es nach einem längeren Shot, der den Protagonisten auf einer schwankenden Leiter dokumentiert, einen Schnitt, durch den der Effekt erzeugt werden soll, dass der Protagonist katapultiert wird. Die Stelle wurde  vorher aus anderen Gründen bereits erwähnt.
Tatsächlich fällt der Trick aber durch die nicht optimal aufeinander abgestimmten Fluglaufbahnen im ersten und zweiten Shot auf. Zudem sieht man bereits im ersten Shot, dass die Flugbahn nicht den physikalischen Gesetzen entspricht, d.h. es wurde eine offenbar profilmische Trucage eingesetzt. Buster fliegt so an einer versteckten Art Seilbahn, da er sonst nicht über den Bildrand hinaus katapultiert werden und dadurch der darauffolgende Gag, dass er auf dem Polizisten landet, mit dem er bereits am Anfang des Films aneinandergeraten war, nicht möglich gewesen wäre.
Ein anderes Beispiel für einen trickreichen Einsatz bietet diese Sequenz aus The Electric House: In ebenjenem elektrischen Haus gibt es einen Swimmingpool, bei dem das Wasser per Hebel schnell ein- oder abgelassen werden kann. Am Ende versenkt sich Buster selbst im Pool. Die Tochter des Hausbesitzers lässt das Wasser schnell ab, sodass Buster wieder an die Luft kommt. Ihr Vater lässt es wieder ein, da er verärgert über die Fehlfunktionen im Haus ist, wofür er Buster die Schuld gibt. Am Ende lässt seine Tochter das Wasser wieder ab, doch dann ist Buster verschwunden. Ein Schnitt folgt und ein Shot zeigt, wie Buster an einem anderen Ort wieder ausgespült wird.
Die Bewegungen der Blätter der Bäume spiegeln sich dabei so im Wasser, dass zusammen mit der Bewegung des Wassers die Nutzung des Zeitraffers auffällt. Da es offenbar nicht möglich war, Keaton für eine Präsenzszene lange genug tauchen zu lassen, werden Schnitte zu näheren Aufnahmen genutzt, die ihn zeigen, wenn der Wasserpegel eine bestimmte Höhe erreicht hat. Da er am Ende nicht mehr im Pool ist, ist auch kein Schnitt zu einer näheren Einstellung mehr notwendig, als der Pegel wieder steigt.
Außerdem setzt Keaton das Editing auch ein, um Relationen zwischen den Shots der Montage herzustellen. Konstruktive Montagen kreieren den Raum und die Zeit für die vielzähligen Verfolgungsjagden, etwa in The Scarecrow, Cops oder auch The Haunted House.
Für Gags werden konstruktive Montagen ebenfalls genutzt, wie dieses Beispiel aus The Love Nest zeigt: Buster geht mit einem Gewehr über eine Treppe von einem Schiff und verschwindet unter Wasser. Darauf folgt ein Schnitt zu einer Aufnahme der Wasseroberfläche, wie Luft und Dampf aufsteigen: Buster hat geschossen. Dann wird zurück zur vorherigen Aufnahme geschnitten, als Buster wieder hochkommt, nur dass er diesmal einen Fisch dabei hat, den er der Erzählung zufolge gerade erlegt hat.
Es erscheint allerdings auch möglich, denselben Teil der Geschichte mit nur einem Shot zu erzählen, beispielswiese durch einen Kameraschwenk nach unten, um unbalancierte Bilder sowie eine zu unklare Präsentation der Ereignisse zu vermeiden. Die Präsentation ist in diesem Fall durch die nähere Aufnahme sehr klar, was ohne die Detailaufnahme zwischen den beiden Shots weniger der Fall gewesen wäre.
Ein Beispiel für Relationen, bei dem der zweite Shots den ersten in Perspektive setzt und ihm somit erst seine Bedeutung gibt, ist die im folgenden Absatz beschriebene Montage aus The Boat: Am Anfang sieht man Buster im Innern eines hin und her schwankenden Boots. Darauf folgt ein Schnitt zur Ansicht auf dieses Boot von außen: Es ist nicht auf der See, sondern noch in der Werkstatt; ein Kind zieht an den Seilen und sorgt dadurch fürs Schwanken.
Hierdurch wird auch die vermutlich angewandte Technik für spätere Szenen offenbart, in denen das Boot schwankt, als Buster und seine Familie darin auf der See fahren.
Der erste Shot hält Informationen noch zurück, erst der zweite offenbart sie. Somit kommen dem Editing auch fokalisierende Funktionen zu. In The Frozen North wird es ebenfalls zu diesen Zwecken genutzt, als Buster am Anfang eine Frau umwirbt. Durch ein Crosscutting erfahren die Zuschauer, dass ihr Mann zurückkommt. Buster bekommt davon hingegen nichts mit.
An einer anderen Stelle im selben Film wird elliptisch geschnitten und somit ein Teil der Diegese nicht präsentiert, wodurch den Zuschauern ebenfalls Informationen vorgehalten werden, die auch der Protagonist in der Szene nicht hat, obwohl er sie haben müsste: Buster ist erneut zu der Frau gegangen. Präsentiert wird die Szene ab dem Moment, in dem Buster bei ihr zu Hause ist; wie er hineingekommen ist, wird nicht gezeigt, was in dem Moment allerdings auch nicht störend ist, sondern wie eine recht übliche „Ellipsis proper“ erscheint, bei der irrelevante Ereignisse nicht präsentiert werden. Ihr Mann kommt dann wieder heim; allerdings erfahren die Figuren es diesmal. Also entschließt sich Buster, die Tür von innen zuzuhalten, wie es im Bild zu sehen ist. Tatsächlich kommt ihr Mann allerdings recht problemlos nach innen, denn Buster ist ohne es zu wissen auf der Seite der Angel, was er hätte wissen müssen, da er zuvor selbst hereingekommen ist. Dieser Moment wurde aber nicht gezeigt, somit wussten nicht nur die Zuschauer, sondern auch Buster nicht, wie er stattgefunden hat. Sowie die Figuren teilweise wie die Zuschauer nicht über den Bildrand hinausblicken können oder die Bildtiefe nicht sehen, wissen sie in der somit auch im Editing beibehaltenen filmischen Surrealität stellenweise auch nicht, was während der herausgeschnittenen Zeit stattgefunden hat. Es kann aber auch sein, dass es die Figur einfach vergessen hat.
Diese Relation zwischen Shots kommt auch bei den immer wieder vorkommenden Zwischentitelgags zum Tragen: Dabei werden oft Zeitangaben durch Zwischentitel persifliert. Nachdem an Deck des Bootes in The Boat einiges kaputtgegangen ist, setzt der Zwischentitel „Ten seconds later“ ein. Daraufhin ist wieder alles repariert, obwohl zehn Sekunden dafür in einer afilmischen Realität kaum gereicht hätten.
In The Paleface geschieht dies andersherum: Während im obigen Beispiel die im Zwischentitel behauptete vergangene Zeit zu kurz erscheint, erscheint sie diesmal zu lang: Hier küssen sich Buster und seine wohl zukünftige Frau. Dann setzt der Zwischentitel „Two years later“, ein. Es folgt ein Schnitt zur selben Szene, die zeigt, wie sich die Personen noch immer küssen, statt sie etwa als Familie mit Kindern zu zeigen.
Dies lässt sich auch als Anknüpfung an Hard Luck interpretieren, womit der Zwischentitel als selbstironisch bis -parodistisch in Keatons Werk gedeutet werden kann: Dort springt der diesmal suizidale Buster von einem Sprungbrett statt in einen Swimmingpool an den Beckenrand, wobei er ein tiefes Loch hinterlässt. Der Zwischentitel erklärt: „Years later…“ Danach kommt Buster mit seiner neuen chinesischen Familie aus dem Loch heraus, das demzufolge sehr tief sein müsste.

Eine simplere Aufgabe des Editings ist die Betonung unterschiedlicher Dinge in einer Szene, wofür mehrere Einstellungen benötigt werden. In The Goat findet sich beispielsweise diese Sequenz: Buster ist von seiner neuen Freundin zum Abendessen eingeladen worden. Am Esstisch sitzend spielt er mit ihrem Hündchen, während ihr Vater heimkommt. Dieser ist der Polizist, der Buster in der vorangegangenen Sequenz gejagt hatte. Pro- und Antagonist sind an dieser Stelle somit lange im selben Raum und sitzen dann sogar am selben Tisch, ohne einander zu bemerken. In dieser  bereits beschriebenen Sequenz dient das Editing dem Zeigen mehrerer Details der Szene, die erklären, wie es dazu kommt, dass sich die von Keaton und Roberts gespielten Figuren erst so spät sehen.

Zusammenfassung: Das Editing wird systematisch für Trucages oder die Auflösung profilmischer Trucages genutzt. Oft wird versucht, Schnitte zu verstecken, um den Eindruck einer schnittlosen Sequenz zu Erzeugen, was bei Misslingen zu unbeabsichtigten Jumpcuts führt. Um dem entgegenzuwirken, werden Blickbarrieren, Bewegungen und größere Distanzen zwischen Kamera und Geschehen eingesetzt. Der Höhepunkt dessen wird in der Kinoleinwandsequenz in Sherlock Jr. erreicht.
In einigen Fällen besteht eine Spannung zwischen Framing und Editing, etwa wenn in den frühen Filmen Shots einer Montage keinen signifikanten Mehrwert an Informationen bieten. Ansonsten werden ebensolche Montagen auch genutzt, um verschiedene Details einer szenischen Anordnung zu betonen. Hinzu kommen gängigere Funktionen wie etwa die konstruktive Montage, die für die vielzähligen Verfolgungsjagden bei Keaton noch die wichtigste ist, sowie sonstige Relationen von Shots zueinander, nicht selten mit humoristischem Ziel, oder der klassische Verzicht auf das Zeigen irrelevanter Momente der Diegese.

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