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Freitag, 4. September 2020

Christopher Nolans James Bond

 

Protagonist und Nebenfigur in Christopher Nolans neuem Film 


Vor einigen Jahren gab es Gerüchte, Christopher Nolan würde den nächsten James-Bond-Film drehen. Wie ein Spionagefilm von Nolan aussehen würde, stellt er nun in seinem neuen Film zur Schau: Hier gibt es Bond-typische Szenen, in denen der Protagonist, Protagonist, eine Reihe Handlanger ausschaltet, vom Bösewicht zum Essen eingeladen wird (die Figuren sind alle entweder die Guten oder die Bösen), dort einige Szenen im Mission-Impossible-Stil, wo präzise getimte, unmöglich erscheinende Einbrüche gemeistert werden. Das Spionagefilmgenre wird aber mit dem Zeitreisefilm, genauer gesagt Zeitreise-Actionfilm, gemischt, bei der der Bösewicht durch die Zeit reist, um die Menschheit auszulöschen, und die Helden ihm folgen, um ihn aufzuhalten. Besonderes Gimmick bei Nolan: Die Zeitreisenden, die „Inversen“, bewegen sich rückwärts durch die Zeit.

Tenet ist ein Film mit den typischen Stärken und Schwächen eines Christopher-Nolan-Films. Die Charaktere bleiben blass und werden kaum charakterisiert, die Beziehungen sind schwach, die Dialoge sind schwach, vor allem, wenn sie allzu philosophisch werden, und der Film ist kitschig, beispielsweise im Verhältnis zwischen dem Bösewicht, Sator, und seiner Frau. Hinzu kommt, dass der Film sich komplizierter macht, als er müsste, indem er viel dialogbasiert und fremdwörterschwer erzählt, sodass man im Kino mal eins, zwei Sekunden überlegen muss, was mit „bitemporaler Zangenbewegung“ gemeint ist.

Die Stärke des Films ist aber gewiss seine Originalität. Wenn Inception „Zeitlupe – Der Film“ ist, dann ist Tenet „Reverse motion – Der Film“. Vor allem die Szenen, in denen Reverse Motion und Forward Motion zusammen im selben Bild sind, sind spannend anzusehen. Außerdem dreht Nolan auf Film und nutzt praktische Effekte statt CGI, was spätestens dann sehr befriedigend anzusehen ist, wenn ein Jet in ein Gebäude kracht.

Leider lässt der Film auch einiges an Potenzial liegen. Es wird etwa das Problem erwähnt, dass eine Person sich selbst auslöscht (oder mit den Worten des Films: „annihiliert“), wenn sich die „lineare“ und die „inverse“ Version desselben Ichs berühren. Dies passiert im Film keinmal. Auch die Möglichkeit, sich im Fenster der linearen Welt wieder aus der Zeitmaschine herauskommen zu sehen, wenn man dabei ist, in die inverse Welt einzutreten, um zu sehen, ob man Erfolg haben wird bzw. überlebt, wird kaum dramaturgisch genutzt. Man könnte erwarten, eine Figur bekommt dadurch auch einmal zu sehen, nicht nur ob, sondern auch wie sie Erfolg auf der Mission hatte, wie in einer selbsterfüllenden Prophezeiung – solche sind dramaturgisch immer großartig. Und natürlich, was passiert, wenn eine Person sich nicht zurückkehren sieht – geht sie trotzdem das Risiko ein und versucht, ihr Schicksal zu besiegen?

Wenn man, wie etwa in Interstellar, einen großen Twist erwartet, wird man vermutlich enttäuscht sein, denn diesmal bleibt er aus. Ab der Rückkehr der Helden als inverse Zeitreisende zum Flughafen, in den sie vorher eingebrochen sind, könnte man erwarten, dass sie von nun an gegen ihre früheren Schritte aus der Vergangenheit vorgehen, doch nichts derlei. Auch die Beeinflussung zwischen der Vorwärts- und Rückwärts-Zeitabläufe, die Nolan zuzutrauen gewesen wäre, beschränkt sich auf einige wenige Momente. Und dann geht auch noch eine Aufopferung am Ende etwas unter.

Das klingt jetzt alles etwas negativ. Dennoch ist mein erster Eindruck positiv, vor allem, nachdem sein letzter Film mich enttäuscht hat. Nolan erzählt diesmal nämlich auch teilweise auf filmisch interessante Weisen. Wir haben hier die vielleicht beste Nutzung von Reverse Motion in einem Film, eine gut gefilmte Folterszene, bei der ein Zug vor der Kamera entlangfährt und uns nichts sehen und hören lässt, einen brutalen Kampf mit Küchengegenständen und hier und da Narration via Gegenstände statt Erklärdialoge. Leider limitiert Nolan sich selbst durch kitschige Nebenhandlungen, bei denen die einzige Motivation die Wiedervereinigung einer Familie ist – Inception und Interstellar lassen grüßen. Es wäre interessant, zu wissen, wie ein Nolan-Film aussähe, würde er doch bloß Menschen und Emotionen verstehen. Der beste James-Bond-Film des Jahres ist Tenet vermutlich trotzdem.

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