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Sonntag, 25. Februar 2024

Eine Verbeugung vor dem Meister

 

Scarface (Brian de Palma)


Im Zuge der Mariel-Bootskrise gelangen ca. 25.000 politische Gegner Castros, Kriminelle und Geisteskranke von Kuba in die USA, darunter der Ex-Sträfling Tony Montana. In seinem Gespräch mit den Grenzbeamten gibt er an, Englisch aus den Filmen von Bogart und James Cagney gelernt zu haben. Nachdem er sich im Sammellager „Freedom Town“ an einem gemeinschaftlichen Mord an einem ehemaligen Funktionär Castros beteiligt, hilft sein Auftraggeber ihm, eine Green Card zu bekommen und das Lager zu verlassen. Der amerikanische Traum.

Bald darauf arbeitet Tony mit seinem Freund Manny als Tellerwäscher, wobei er seine Position verachtet und die örtlichen Gangster beneidet. Doch bald bekommen sie von Omar Suarez, seinem letzten Auftraggeber, einen neuen Auftrag. Tony spielt sich daraufhin groß auf und kündigt seinen Job. Bei dem Auftrag geraten sie jedoch in einen Hinterhalt. Manny, der lieber mit attraktiven Frauen flirtet, als Schmiere zu stehen, kann Tony gerade noch davor retten, mit einer Kettensäge ermordet zu werden; dessen Partner hatte weniger Glück.

Bald darauf trifft Tony in Bolivien auf den Drogenbaron Alejandro Sosa. Im Verlauf des Gesprächs wird der zunehmend nervöser wirkende Omar als vermeintlicher Spitzel der Behörden enttarnt und von Sosa ermordet. Zudem schließt Tony zum Unwissen seines Bosses Lopez ein Geschäft ab. Lopez missfällt das eigenmächtige Handeln Tonys. Er versucht, Tony ermorden zu lassen, doch schlägt der Mordanschlag fehl. Tony entkommt, kann Lopez überführen, wie im Original, und tötet ihn, woraufhin er Lopez‘ Geschäfte übernimmt und dessen Frau Elvira heiratet.

Bald gerät Tony in die Fänge der Justiz. Sosa bietet ihm an, ihm zu helfen, wenn dieser ein Attentat für ihn verübt. Als sich herausstellt, dass Tony nicht nur einen Gegner von Sosa, sondern auch dessen Frau und Kinder töten würde, führt er den Anschlag nicht aus und bricht mit Sosa. Zurück in Miami entdeckt er ein Verhältnis zwischen Manny und Tonys Schwester Gina, wofür Manny mit dem Leben bezahlt. Zurück in Tonys Villa dringen Sosas Leute ein und töten erst Gina und nach einem langen Schusswechsel auch Tony. The world is yours...

Das Remake von Scarface ist doppelt so lang und halb so gut wie das Original. Alle guten Ideen stammen von Howard Hawks, Ben Hecht & Co. Einige Szenen wirken, als gehörten sie zu einer Geschichte mit Themen, Handlungssträngen und Motiven, die dieser Film nicht hat bzw. nicht entwickelt. De Palma und Drehbuchautor Oliver Stone haben dem wenig hinzuzufügen.

Manch Szenen sind sogar überraschend schwach für einen Regisseur von diesem Ruf, z. B. Szenen, in denen Figuren sich einfach nur unterhalten. Diese Schwächen versucht der Film mit blutiger, exzessiver Gewalt, Nacktheit und Kokain zu kaschieren. Tony wirkt teilweise sogar dämlich. Wie soll er auf Ideen kommen, die Paul Munis Tony im Original hatte? Die Charaktere wirken unterentwickelt, tun das, was die Handlung gerade erfordert, aber nicht aus Eigenmotivation. Dann zeigt Tony sowas wie ein Herz, ein Gewissen, als er sich entschließt, zwei Kinder am Leben zu lassen und so sein Imperium zur Hölle fahren zu lassen, ohne, dass solche „Prinzipien“ vorher etabliert worden wären. Schließlich wird er vom „Terminator“ getötet.

Die einzigen guten originellen Szenen sind für mich die Szene mit Tony im Pool, obschon die Dialoge sehr unelegant und direkt das ausdrücken, was der Film eigentlich hätte ausdrücken sollen, und die Szenen beim Dinner mit Tony, seiner Frau und seinem Freund, obschon die Szene das gleiche Problem hat, wie die Pool-Szene. Was mich wundert, ist, dass die inzestuöse Beziehung zu seiner Schwester nicht aufgegriffen und expliziter umgesetzt wurde, als die Andeutungen bei Hawks.

Ich werde nicht richtig warm mit de Palma. Manche Dinge oder Entwicklungen werden nicht vorbereitet, sondern springt er gleich zur Konklusion. Das einzig Gute am Film ist, dass sich Tonys Traumfrau als uninteressant, ja undesirable entpuppt und er auf dem Höhepunkt feststellt, wie leer er sich fühlt, fast, denn ist er doch zu vulgär, ungebildet, ja dumm, ihm fehlt Tiefe und Intelligenz, ist vorlaut, sodass es nicht immer ansprechend ist, 2 Stunden und 45 Minuten mit ihm zu verbringen. Seinen einzigen guten Satz – im Rahmen seines Charakters – hatte Tony bei der Ermordung des Polizisten.

Man kann sich mit keiner Eigenschaft des Charakters identifizieren, er hat keinen Anknüpfungspunkt, wohingegen bei anderen Filmen deutlich interessanter auf das Gangstertum geschaut wird. Bei Es war einmal in Amerika gibt es die Diskrepanz zwischen der romantisierten Erinnerung und der tatsächlichen Realität der Ereignisse. Bei Goodfellas ist der Subtext oft das genaue Gegenteil des Offensichtlichen. Im profunden Original von Hawks hat Tony Intelligenz, Straßencharme, ja Werte, obschon kein Gewissen, die er vertritt.

Hawks war ein Meister, de Palma hatte nur ein paar Ideen.

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 JH

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