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Sonntag, 2. Juni 2024

Der Zorn des KHAAAN und seine Paratexte

 Möglichkeiten der dramaturgischen Wirkung von Paratexten

Auf der Leinwand, aber nicht in der Handlung

Als 2013 Star Trek Into Darkness in den Kinos startete, wussten viele bereits im Vorfeld, wer sich hinter dem für die von Benedict Cumberbatch gespielte Rolle bekanntgegebenen Namen John Harrison tatsächlich verbergen würde. Zwar sollten sich die Paratexte des Films diesbezüglich ebenfalls in Geheimhaltung üben, doch hieß John Harrison tatsächlich Khan– ein  ikonischer Name eines Bösewichts im Star-Trek-Universum, seit Ricardo Montalbán für den Kinofilm Star Trek II: The Wrath of Khan von 1982 seine Rolle aus der Episode Space Seed (Der schlafende Tiger, S1E22) der TV-Serie Star Trek (Raumschiff Enterprise), an deren Geschichte Produzent Harve Bennett mit dem zweiten Kinofilm der Reihe anknüpfen wollte, wieder aufnahm. Im Gegensatz zur Neuauflage der Rolle im Film von 2013, der sich lose an den früheren Geschichten um Khan, dessen Name in der Diegese erst nach einer gewissen Zeit verraten wurde, orientiert, wurde dem Publikum 1982 der bereits im Titel genannte Name des Gegenspielers in keinster Weise verheimlicht.

Da jeder Paratext eines Films dramaturgische Konsequenzen hat, beginnt die Inszenierung von Figuren im fiktionalen Film bereits außerhalb der Diegese. Aber wie wird Khans Name im Filmtitel sowie Vor- und Abspann von Star Trek II: The Wrath of Khan genannt, und was ergibt sich daraus für die Inszenierung der Figur außerhalb der Diegese?

 

 

Khan im Filmtitel

Der Titel Star Trek II: Der Zorn des Khan besteht aus drei Teilen:

1.      Star Trek, womit die Zugehörigkeit des Films zu einer bestimmten Reihe markiert wird, aber auch jene zu einem Genre, nämlich der Science-Fiction, wobei Star Trek darin auch der Status eines Subgenres, an das sich bestimmte Erwartungen knüpfen, zum Beispiel Handlungszeit, Handlungsort oder handelnde Personen, zukommen kann.

2.      II als Nummerierung, die anzeigt, dass es sich um den zweiten Kinofilm der Reihe handelt.

3.      Der Zorn des Khan als Zusatz.

Als einen Unterpunkt der Grundfunktionen von Titeln, Appell und Information, aus denen sich für ihn die „Superfunktion“ Werbung für den Film ergibt,  trägt der Titel zum Image eines Films bei – und so auch einen wesentlichen Teil zur Rezeption. Daher wird Wrath durch die Nennung Khans im Filmtitel für die Öffentlichkeit klar mit der Figur oder dem Namen des Antagonisten verbunden. Durch die daraus entstehende Wissensvermittlung wirkt das Wissen über den Titel, das auch gewisse Erwartungen an den Film auslöst – die dieser auch erfüllen wird – in diesen hinein.

Zudem entstehe durch Namen im Titel eine emotionale Bindung der Zuschauer an die zugehörige fiktionale Person. Der Trick besteht jedoch genau darin, daß durch die Verwendung von Eigennamen Vorwissen suggeriert wird. In Star Trek II ist die Situation durch eine Eigenheit etwas komplizierter: So kann es sein, dass bereits vorhandenes und auf die Folge Space Seed zurückgehendes Vorwissen aktiviert wird. Es kann also der Fall sein, dass manche Zuschauer sich in der Tat an Khan erinnern, anderen hingegen dieses Vorwissen fehlt. Hier vermischt sich demnach die „Pseudo-Vertrautheit“ mit der tatsächlichen und unterscheidet sich individuell. Zudem kann ein Teil der Zuschauer auch den Macht ausstrahlenden Herrschertitel Khan erkennen.

Andere  Inhaltsfaktoren von Titeln sind Personenbeschreibungen: Eine große Zahl von Filmtiteln bezieht sich durch Charakterisierung, Einordnung der Rolle innerhalb der Story etc. beschreibend auf Personen des Films. Hier wird mit Khan der Bösewicht im Titel genannt, obgleich nicht er allein, sondern eine Beschreibung seines emotionalen Zustandes den dritten Teil des Titels ausmacht: Grammatikalisch wird sein Zorn zum Subjekt. Dabei seien Eigennamen plus Artikel in nachgestellten Genitivattributen zwar nicht selten, aber eigentlich nicht zulässig; korrekt hieße es demnach Khans Zorn. Aufgrund dieser Konventionen lässt sich nun vermuten, dass Khans Zorn eine inhaltliche Funktion zukommt: Dieser könnte (und wird) zur Kollision führen. Durch diesen Zorn tritt etwas ein, das die als Ausgangspunkt der Handlung gesetzte Form von Harmonie stört, wodurch die Notwendigkeit einer Handlung und so eine dynamische Entwicklung in der Geschichte ausgelöst wird (siehe Stutterheim). Doch auch Folgendes kommt hinzu: An einer Stelle in der filmischen Diegese mahnt der Vulkanier Spock im Sinne seiner Philosophie der Logik den Arzt Dr. McCoy: „Sie müssen lernen, Ihre Emotionen zu beherrschen, sonst wird das noch Ihr Untergang sein.“ Tatsächlich kommt Übermensch Khan erst in eine nachteilhafte Position, als er sich gegen Ende des Films von ebenjenem Zorn dazu verleiten lässt, seine vorteilhafte Lage aufzugeben, um die finale Verfolgung des verhassten James Kirk aufzunehmen. Der Titel bietet so auch eine Lesart an.

 

Khan im Vor- und Abspann

Die Reihenfolge der Namensnennungen im Vor- und Abspann wurde im ‚klassischen‘ Hollywood i. d. R. durch das billing sheet festgelegt. Auch 1982 galten noch vertragliche Regelungen die Reihenfolge und die Größe der Namen im Vorspann. Dabei kamen Namensnennungen auch repräsentative Aufgaben zu: Eine bessere Positionierung des Namens im aktuellen Film eines Stars bedeutet ein höheres Prestige. Die vertraglich geregelten Kriterien betreffen dabei hauptsächlich die Größe der Schrift und den Zeitpunkt der Nennung: Je größer und je früher die Namensnennung erfolge, desto prestigereicher sei die Nennung für das Image der Stars. Anhand dieser Kriterien könnte nun diskutiert werden, ob es sich bei Montalbáns Nennung um eine gute oder schlechte handelt. Können die Auswirkungen dabei auch dramaturgischer Art sein?

Nach dem Studio Production Logo folgt eine erneute Nennung des Studios, dann des Filmtitels, dann der Darsteller. Die Schriftfarbe ist, wie auch ab der dritten Staffel der Fernsehserie blau, Schrift und Hintergrund sind voneinander unabhängig. Der Hintergrund besteht durchgängig aus einem Eindringen in den Weltraum, während in der Serie auch Aufnahmen der durchs All fliegenden Enterprise folgten. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten der Beziehung zwischen dem Hintergrund des Vorspanns und der Diegese; der in Wrath könnte dem diegetischen Raum entsprechen, muss er aber nicht. Das markante Motiv des Eindringens in den Weltraum als „unverwechselbares Markendesign“ beschrieben werden, da mit einer sehr ähnlichen Aufnahme auch der Vorspann der Fernsehserie begann.

Visuell ist der Vorspann insgesamt zurückhaltend und zieht mit seiner Bewegungsarmut wenig Aufmerksamkeit auf sich. Das menschliche Gehirn erfasst Bewegungen besonders schnell, eher noch als Farben und Lichtwechsel. Der eher eintönige und abwechslungsarme Vorspann rückt somit gegenüber der zwischen Vor- und Abspann präsentierten Handlung in den Hintergrund

An die Serie wird auch musikalisch angeknüpft, als anfangs einige Takte des Serienintros zu hören sind, allerdings entwickelt sich danach ein davon unabhängiges Musikstück ohne „akustische Konkurrenz“, auch weil hier im Gegensatz zur Serie keine Flüge der Enterprise vertont wurden bzw. werden mussten. Ein einziger letzter Verweis auf den Serienvorspann auf der akustischen Ebene wird am Ende des Films stattfinden.

Die wichtigsten Figuren in der Filmreihe bilden das „Triumvirat“ Kirk-Spock-McCoy, deren Darsteller zuerst, sortiert nach absteigender Wichtigkeit, genannt werden. Die Schriftgröße entspricht dabei jener des Titels, wobei dieser aufwändiger gestaltet war; danach ist sie kleiner, um die „Also starring“-Darsteller zu nennen (darunter viele Namen aus der Originalserie), bevor endlich Montalbán als letzter Schauspieler somit als einziger Antagonist eine Nennung im Vorspann erfährt. Sein Name erscheint jedoch wieder in der Größe der anfangs Genannten, begleitet von seiner Rolle: „And starring Ricardo Montalban as Khan“. Danach werden Produzenten und weitere Mitarbeiter der Filmcrew genannt, bevor der Text: „In the 23rd century…“, eingeblendet wird und den Übergang vom Vorspann in die Filmhandlung markiert.

Dafür, dass Khan im Titel genannt wird, erfolgt seine Nennung im Vorspann spät; so könnte nun angenommen werden, der Vorspann inszeniere Montalbán als weniger bedeutsam. Allerdings spricht dagegen, dass die Schriftgröße für seine Nennung wieder erhöht wurde und der markante Name aus dem Filmtitel jenen des Schauspielers begleitet, was eher eine Stärkung der Position des Namens bedeutet.

Zugleich wird der Fokus eher auf die Seite der Protagonisten gelegt: Zwar ist Khan Kirks Gegenspieler, der Konflikt zwischen beiden ist aber nicht die Hauptsache des Films, sondern eher ein zentrales Element, an dem andere Dinge inszeniert werden. So präsent Kirks Konflikt mit Khan auch ist, so auffällig ist auch, dass bereits vor Khans erstem Auftritt andere Konflikte eingeführt wurden, die sich etwa um Kirks Verhältnis zum Altern oder seine Lebensumstände drehen. Kirk ist mit internen Konflikten konfrontiert, bevor diese in einem externen katalysiert werden.

 


Der Übergang zwischen filmischer Diegese und Abspann beginnt mit einer Aufnahme des gerade in der Diegese erschaffenen „Genesis-Planeten“, gefolgt von einem Kameraschwenk im Weltraum, begleitet von der Stimme des verstorbenen Spock, der die Worte spricht, mit denen Captain Kirks Stimme auch den Serienvorspann beginnt („Space – the final frontier…“). Dieses Voice-Over einer in der Diegese verstorbenen Figur sorgt übrigens dafür, dass der Film sich davon abhebt, bloß Handlungen einer diegetischen Welt zu präsentieren. Der Kameraschwenk versetzt den „Genesis-Planeten“ in den Off-Screen-Bereich, sodass ein Star-Trek-typischer Sternenhimmel zurückbleibt, in den wieder eingedrungen wird. Am Ende stößt die Kamera schneller in den Raum vor, bis das ganze Bild schwarz ist. Eine „Markierung auf der musikalischen Ebene“ findet in dem Moment ebenfalls statt; gepaart mit dem schwarzen Bild wird das Ende also ohne eine eigene Texteinblendung (à la „The End“) inszeniert.

Nun rollen die Credits in einheitlicher Schrift, Schriftfarbe, -größe und Reihenfolge wie anfangs über den schwarzen Hintergrund. In der Liste der Darsteller tauchen nun weitere Namen auf, die im Vorspann noch fehlten. In jenem erhielt außerdem jeder Schauspieler für sich bzw. sich und seine Rolle kurz das Bild allein, diesmal werden bis auf die erste stets mehrere Besetzungen zugleich im Bild genannt. Montalbáns Nennung ist somit eine von vielen, der interessante Sonderstatus aus dem Vorspann wird nicht wiederholt, doch bleibt er dabei der einzige Antagonist, der in der Besetzungsliste überhaupt genannt wird.

 


 

Potenzial und Grenzen

Was die dramaturgische Wirkung von Paratexten auf die Inszenierung einer Figur angeht, zeigen sich einerseits gewisse Möglichkeiten: Der Filmtitel kann als werbender Paratext möglicherweise sogar Lesarten anbieten, die als Teil der Dramaturgie die Rezeption beeinflussen, da bereits dadurch fokalisiert wird. Andere Paratexte (Trailer, Plakat, etc.), die auch ähnliche Funktionen haben, ähneln ihm bezüglich dieser Möglichkeit. Der Vor- und Abspann stoßen dabei an die Grenzen ihrer Möglichkeiten und tragen diesbezüglich wenig bei. Zwar wird durch den Sonderstatus Montalbáns im Vorspann, mit dem auch vermieden wird, ihn in Konkurrenz zum Star-Trek-Triumvirat zu stellen, die Besetzungsliste in diesem Paratext beendet; es zeigt sich jedoch auch, dass die dramaturgischen Auswirkungen hier per se stärker beschnitten sind. Im Gegensatz zum Filmtitel konnte in den anderen beiden hier betrachteten Paratexten die Position der Rolle somit nicht mehr besonders markant inszeniert werden.

Überdies sind für die heutige Rezeption des Films auch neuere offiziöse Paratexte, die der populärste Star-Trek-Bösewicht im Internetzeitalter nach sich zieht, von Bedeutung. Oder anders:


 PS: Mein nächster Beitrag beschäftigt sich mit einer Mafia- und Psychologen-Komödie mit Robert de Niro und Billy Crystal, und wie durch den Genre-Clash beide Genres parodiert werden. Auch eine Sehempfehlung für den Sommer.

 

Lesekram

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