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Dienstag, 2. Januar 2024

Das Ende einer Freundschaft

 

The Banshees of Inisherin


 

Ich kündige Martin McDonagh von einem Tag auf den anderen unerwartet meine Freundschaft.

„Aber du magst doch Brügge sehen… und sterben?“ Ja, es ist ein guter Film.

„Aber du mochtest doch auch Three Billboards?“ Ja, als er herauskam, mochte ich ihn.

„Aber du hältst mich doch für einen der besten Dramatiker der Gegenwart!“ Ja, auch das stimmt. Und daran hat sich nichts geändert.

„Was ist dann der Grund?“

Der Tod liegt über einem kleinen irischen Dorf. Zwei Männer schicken sich an, diesem zu begegnen, mit ganz unterschiedlichen Mitteln. Padraic (Colin Farrell) will durch Freundlichkeit seinem Umfeld begegnen und in Erinnerung bleiben. Colm (Brendan Gleeson) hingegen will der Nachwelt ein Werk hinterlassen.

Jeden Tag treffen sich Padraic und Colm um zwei Uhr zum Trinken und Plaudern in der Dorfkneipe. Doch von einem Tag auf den anderen will Colm das nicht mehr. Er will Padraic und dessen belangloses Gerede meiden und die Zeit stattdessen für künstlerisches Schaffen nutzen, um so der Nachwelt in Erinnerung zu bleiben. Man erinnere sich an Mozart, aber an niemanden, der für Freundlichkeit bekannt geworden sei, behauptet Colm, während im Hintergrund ein Kruzifix zu sehen ist. So komponiert Colm ein Geigenstück, dessen Titel der erfahrene Zuschauer schon erraten kann.

Wenn man nun denkt, Padraic würde verschiedene Personen befragen, um herauszufinden, was genau der Auslöser für Colms Entschluss war – weit gefehlt. Der Film gibt kein Ereignis als Auslöser an. Es ist eine plötzliche Entscheidung, und es soll auch gar nicht so sehr darum gehen, was Colm zu diesem Zeitpunkt zum Handeln bewegt hat. Statt einer Ursache-Wirkungs-Kette bietet der Film also nur eine Motivation.

Padraic kann diesen Entschluss gar nicht fassen. Um von ihm endlich in Ruhe gelassen zu werden, droht Colm ihm, er werde sich jedes Mal einen Finger abschneiden, wenn Padraic mit ihm spreche. Und diese Drohung setzt er auch bald in die Tat um.

Bald erstickt Jenny, Padraics geliebter Esel, an einem dieser Finger. Aus Rache will Padraic nun Colms Haus anzünden; Colms Hund werde er retten, Colm aber nicht. Auch diese Drohung wird in die Tat umgesetzt. Nach dem Brand findet Padraic Colm aber lebend vor.

Der Film zeigt das langweilige Leben auf einer Insel vor der irischen Küste und ist dabei leider selber langweilig. Irgendetwas fehlt, was dem Film einen roten Faden gibt, was das dramaturgische Gerüst zusammenhält. Eine Frist vielleicht? Während manche Actionfilme mehrere Fristen in der gleichen Szene nutzen, um Dringlichkeit zu erzeugen, nutzt Banshees keine.

Oder eine interessantere Figurenkonstellation?

Padraics Schwester Siobhan, dem moralischen Zentrum des Films (?), gelingt es im Laufe der Handlung, der Einöde zu entfliehen, und bietet ihrem Bruder an, mitzukommen. Sie will mehr vom Leben, als Inisherin ihr bieten kann.

Dominic, der Sohn des Dorfpolizisten, wird regelmäßig von seinem Vater geprügelt und sexuell genötigt. Der postpubertäre Jugendliche interessiert sich für das weibliche Geschlecht, doch bietet Inisherin ihm, dem „Dorftrottel“, in dieser Hinsicht nicht viel. Nur Siobhan interessiert ihn, doch diese will nichts von ihm. Er sieht nur einen Ausweg aus diesem Dasein.

Es kommt auch ein brutaler, ja sadistischer Polizist vor, ein Klischee auf zwei Beinen, was man bei McDonagh mittlerweile fast erwarten kann. Er kündigt Padraic an, ihn am Sonntag totzuprügeln – „Am Sonntag bist du tot“ – da dieser dessen „Familiengeheimnis“ in aller Öffentlichkeit ausgeplaudert hat. Zu dieser Konfrontation kommt es aber nicht, da vorher eine Figur, die als Todesmetapher, als „Todesfee von Inisherin“ kaum offensichtlicher sein könnte, ihm dessen toten Sohn zeigt. Selbstmord. An einer Stelle versucht die „Todesfee“ auch, Siobhan in den Selbstmord zu treiben, mit einer Geste, an einer Stelle im Film, nicht in einer ernsthaft entwickelten Nebenhandlung.

Oder fehlt eine implizite dramaturgische Ebene? Spätestens, als in Irland der Bürgerkrieg ausbricht, sollte jedem im Zuschauer die Metapher des Films klar sein.

Oder fehlt dem Film ein richtiger Wendepunkt? Zum Beispiel, als der vormals freundliche Padraic das aus anzündet?

Hier hätte ein Wendepunkt sein können, dass Colm sich in der zweiten Hälfte des Films darum bemühen muss, Padraic als Freund wiederzugewinnen, während Padraic den Spieß umdreht und seinen ehemaligen Freund fragen könnte, was ein Mozart denn davon habe, wenn sein Name und seine Musik der Nachwelt verbleiben, und ob es denn nicht genug sei, seinem unmittelbaren Umfeld als freundlich in Erinnerung zu bleiben. Padraic kommt mit seiner dunklen, vielleicht sogar todessehnsüchtigen Seite in Kontakt, und so gewinnt die Beziehung von Colm und Padraic eine neue Qualität, bis Colm, nur noch mit einer Hand, beim Versuch stirbt, seinen Freund vor einem brutalen Polizisten zu beschützen.

McDonah hat in einem Film voller theatralischem Dialog die Weichen jedenfalls gestellt, doch dann den Weg nicht eingeschlagen, bzw. nicht zu Ende gedacht. Stattdessen wird die Dramaturgie des Films nie so dynamisch, wie ich es oben nahegelegt habe; der Film bleibt starr. Auch bekommt man nie ein Gefühl für die Freundschaft zwischen den zwei Männern. Eine klassischere Dramaturgie hätte wohl geholfen. Der Film wirkt unfertig, teils schlampig, ja langweilig, und statt ein ruhiger Gegenpol zum Hollywoodkino zu sein, versucht er, mit Gewalt Dramatik zu erzeugen, doch erzielt er dabei nict den gewünschten Effekt.

Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass es dem Film gelingt, das Publikum zu Tränen zu rühren, nur weil die Figuren im Film zu Tränen gerührt sind. Der Film hätte solch ein payoff nicht verdient. Dafür hat er die Figuren nie sympathisch genug, greifbar genug gemacht.

Auch kritisch zu sehen ist McDonaghs Regie. Er erinnert mich etwas an Clifford Odets, einen hochklassigen Dramatiker, der aber kein guter Regisseur ist, der zeigt, dass er die Konventionen fast versteht, aber nicht wirklich, und mit seinen Regieentscheidungen knapp danebenliegt, aber das Ziel trotzdem klar verfehlt. McDonagh schneidet zu Nahaufnahmen, bevor eine Figur etwas wichtiges sagt, wie ein schludriger Student des filmischen Erzählens, der grob, aber nie genau, hinschaut. Ich fürchte, ein guter Autor muss heutzutage auch Regie führen.

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