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Donnerstag, 3. Dezember 2020

In-depth-Analyse: Moderne und elegante Narration

Sex und Gewalt in Thunderball

Um die Darstellung von Gewalt und Sex zu analysieren, teilen wir Narration hier in Handlung, Plot und Nutzung der technischen Eigenheiten des Kinos auf.  Nach David Bordwell sei die Narration im fiktionalen Film der Prozess, bei dem des Zuschauers gedankliche Konstruktion von Zusammenhängen in der Diegese (die fiktionale Welt, kn der die Handlung spielt) von der Interaktion zwischen der Plot (Dramaturgie) und der systematischen Nutzung der Filmtechnik gelenkt werde. Diese konstruierten Verbindungen fänden zwischen Kausalität, Raum und Zeit statt. Zur Kausalität zählten abstrakter auch Parallelismen dazu, bei denen die Verbindung allerdings nicht diegetisch kausal ist.

 

 

Die Darstellung von Sex und Gewalt in Thunderball

Thunderball ist der vierte Teil der James-Bond-Filmreihe und wurde im Jahr 1965 veröffentlicht. Der S.P.E.C.T.R.E.-Agent Emilio Largo (Adolfo Celi) stiehlt mit seinen Handlangern ein mit zwei Atombomben ausgestattetes Flugzeug, um die Nato zu erpressen. Geheimagent James Bond 007 (RIP Sean Connery, einer der 5 größten leading men der Filmgeschichte) spürt ihn auf den Bahamas auf, begibt sich auf die Suche nach den Bomben und kann seinen Gegner schließlich noch rechtzeitig stoppen. Eine vage Zusammenfassung der Filmhandlung sollte dabei ausreichen. Die einzelnen Handlungsepisoden sind eher lose miteinander verknüpft. Zwar weist die Handlung sequenzübergreifend durchaus Kausalität auf, jedoch ermöglicht die hier spezielle Form der Dynamik des Handlungsentwicklungsverlaufs auch eine eher isolierte Betrachtung der jeweiligen Handlungsschritte.

Sex in Thunderball

Die Darstellung von Sex in Thunderball bewegt sich in dem Spannungsfeld zwischen Strategien, Sex zu zeigen und zugleich zu verstecken. Dies geschieht sowohl vor der Kamera als auch auf der Leinwand: Auf der Ebene vor der Kamera sind die Strategien dabei primär an das Verhältnis zwischen den Personen und der Kamera geknüpft. Erstere können entweder in Bewegung oder statisch sein. Sind sie in Bewegung, folgt ihnen die Kamera von ihrem Standpunkt aus, wodurch sie sie nicht ins Off, d.h. in Bereiche außerhalb des Bildrahmens, gelangen können. Stattdessen bewegen sie sich hinter Blickbarrieren.

Hierfür bieten sich beispielhaft zwei Szenen an, die auf unterschiedliche Weisen Gebrauch solcher Blickbarrieren machen: In einer Szene haben 007 und Domino Derval (Claudine Auger) unter Wasser Sex. Bond hat vor, Domino vom Tod ihres Bruders zu unterrichten, für den ihr Liebhaber Largo verantwortlich ist, damit sie sich gegen diesen wendet, indem sie Bond hilft, an Bord von Largos Yacht nach den gestohlenen Atombomben zu suchen. Sie treffen sich, wie schon in ihrer ersten gemeinsamen Szene, beim Tauchen (Parallelismus), schwimmen aufeinander zu, verschwinden schließlich hinter einem Riff und haben dahinter Sex.

Zunächst wird der Raum durch eine konstruktiv eingesetzte Parallelmontage geschaffen: Unter Berücksichtigung der 180°-Regel und aufeinander abgestimmten Blickrichtungen erzählt der Film, dass sie beide unter Wasser sind, sich dort treffen und schließlich aufeinander zuschwimmen, bis sie beide gleichzeitig in derselben Einstellung sind. Zunächst werden sie in Medium Shots gefilmt, bis sie gemeinsam im Bild sind: Hier ist die Distanz größer, sodass sie total gezeigt werden, bis sie hinter das Riff verschwinden. Dorthin folgt die Kamera aber nicht, sondern behält ihre Distanz bei.

Dann gibt es einen Moment ohne ein neues Ereignis: Die Figuren sind hinter der Blickbarriere nicht mehr zu sehen, auch sonst gibt es noch keine Bewegungen, denen die Kamera folgen kann. Dies ändert sich aber, als ein Schwall Luftblasen hinter dem Riff freigesetzt wird und aufsteigt. Die Kamera folgt ihnen zur Wasseroberfläche und filmt am Ende gegen die Sonne; auf diese Aufnahme folgt eine langsamere Überblendung. Die eingesetzte elliptische Montage ist hier in der Logik der Szene daher sinnvoll, da die Kamera ansonsten länger ein ereignisarmes Motiv einfinge. Bond und Domino werden im nächsten Shot am Strand stehen, wo ersterer einen humorvollen Spruch von sich gibt.

Die Szene beinhaltet viel nackte Haut, was sich aus dem Kontext durch das Design der Badekleidung ergibt. Zudem wird die Haut dadurch, dass die Personen unter Wasser sind, farblich verfälscht. Durch die Tauchermasken und die Einstellungsgröße ist auch wenig von ihrer Mimik zu sehen. Eine klarere und ungefilterte Sicht auf die Personen wird es in der darauffolgenden Szene geben, als sie sich am Strand unterhalten.

 


       
Ein Low Angle Shot betont die Vorderseite des Körpers, insbesondere die Brust. Die Montage beginnt schon einige Shots früher. Bond und Domino werden separat gefilmt; durch ein Eyeline Match im Shot-Reverse-Shot-System und die Reihenfolge der Shots wird die Montage konstruktiv eingesetzt. Außerdem erinnert die unter Wasser freigesetzte Luft auch an eine frühere Gewaltszene, in der Captain Dervals Doppelgänger Angelo stirbt (dazu später mehr).

In diesem Fall handelt es sich bei der Blickbarriere, dem Riff, um eine blickdichte. Die Barrieren können in anderen Fällen aber auch zu einem gewissen Grad transparent sein. Eine Sexszene mit einer solchen zu einem gewissen Grad transparenten Blickbarriere und viel nackter Haut in der Handlung, aber begrenzterer nackter Haut auf der Leinwand ist jene in der Wellnesseinrichtung, in der sich Bond am Anfang des Films lange befindet. Es wurde gerade ein Mordanschlag auf ihn verübt, bei dem Graf Lippe, sein Gegenspieler in den dortigen Szenen, eine Streckbank auf ein tödliches Niveau einstellte – kein gutes Design! Pat (Molly Peters), die Bond (und auch Graf Lippe) betreut, hält den Vorfall für einen technischen Fehler. Es folgt ein Missverständnis:

Bond denkt eigentlich an seine Rache an Lippe: „Somebody’s gonna wish the day had never happened.“ Allerdings versteht Pat ihn falsch: „Oh, you wouldn't tell Doctor Wade? Please, I'd lose my job.“ Bond, der zuvor schon erfolglos versucht hat, Pat zu verführen, weiß die Situation schließlich zu seinen Gunsten zu nutzen: „Well, I… I suppose my silence could have a price.“ Pat lächelt: „You don't mean – oh, no.“ Bond antwortet: „Oh yes.“

Sie gehen hinter eine von innen beschlagene Glasscheibe zu einem Dampfbad. Gefilmt werden sie dabei aus einem Medium Shot, und entfernen sich alles in allem  nur wenig von der Kamera; diese hingegen distanziert sich von den Figuren dort, als sie für ein Reframing ihre Positionierung verändert, wodurch der Bildrahmen angepasst wird. Dabei bleibt sie auf der vorherigen Seite der Blickbarriere und folgt den Figuren, deren Konturen hinter der Scheibe verschwimmen, nicht.

       
Bonds nackter Oberkörper wird direkt gezeigt, Pats hingegen eher versteckt. Der Film arbeitet dann mit mobilem Framing, als sich die Kamera nach hinten bewegt. Die Personen sind hinter dem Set und somit quasi im Off, durch die Transparenz aber dann doch nicht wirklich. Pat zieht ihre Kleidung aus. Das ist zunächst alles, was von ihrem nackten Oberkörper gezeigt wird, bis sie später auf dem Bauch liegend von Bond mit einem Nerzhandschuh massiert wird. Am Ende hat sich die Distanz zwischen Kamera und Personen von medium auf medium long verändert. Sobald Bond und Pat in dieser Position sind, findet ein Übergang statt; kein Schnitt, sondern ein Wipe wechselt die Szene. Diese Art des elliptischen Schneidens ist technisch noch einigermaßen konventionell, das Mis-en-scène jedoch in vielerlei Hinsicht unkonventionell.

Man sieht nur wenig davon, was hinter der Scheibe geschieht, zugleich zeigt der Film dies aber durchaus eindeutig: Die Barriere ist transparent genug, um die Zuschauer sehen zu lassen, wie Pat ihre Kleidung auszieht und sich ihr Rücken und Bonds Hände von innen an die Scheibe drücken. Damit werden die Konturen konkretisiert; im selben Moment setzt eine Wischblende als Übergang zur nächsten Einstellung ein. Verschiedene Möglichkeiten, die Szene schon vorher zu beenden, wurden bewusst ausgelassen. Auch die Glasscheibe als Blickbarriere, durch die trotzdem noch viel zu sehen ist, ist gewagter als später das Riff als Barriere ohne Transparenz. Im nächsten Shot verlässt Bond das Zimmer, somit wird auch hier elliptisch geschnitten.

 

Ist die Barriere blickdicht, gibt es also ein ereignisarmes Bild, in dem die Kamera schließlich eine neue Bewegung finden muss, der sie folgen kann. Ist sie transparent, wird der Sex hinter dieser Barriere sehr direkt impliziert, weswegen wiederum die Aufnahme rechtzeitig beendet werden muss; eine Wischblende (wipe) oder eine Überblendung dauern dabei länger als ein Schnitt und sind daher offensiver. Sind die Personen hingegen statisch, ziehen ebenfalls neue Bewegungen die Kamera von den Personen weg, wie es in folgender Szene in Bonds Hotelzimmer geschieht:

Bond kommt gerade von Ermittlungen auf Largos Grundstück zum Hotel zurück, bei denen er auch in Lebensgefahr war. Seine Assistentin Paula war entführt worden und hat offenbar mit einer Zyankalikapsel Selbstmord begangen. Von vorne wurde ihre Leiche aus einem Extreme Long Shot gezeigt, aus näherer Distanz nur im verlorenen Profil, ohne dass ihr Gesicht zu sehen war.

In Paulas Hotelsuite ist in der Zwischenzeit die S.P.E.C.T.R.E.-Mitarbeiterin Fiona Volpe (Luciana Paluzzi) eingezogen. Bond trifft auf sie, während sie gerade ein Bad nimmt. Beide wissen voneinander, dass sie Gegenspieler sind und gehen auch davon aus, dass auch der jeweils andere dies weiß. Daher flirten sie erst und haben kurz darauf Sex. Hier gibt es viel Nacktheit, die sich bereits daraus ergibt, dass Fiona vorhat, Bond zu verführen und daher gerade badet. Danach ist sie so nett, Bond aus seiner nassen Kleidung zu helfen.



 

Danach liegen beide spärlich bekleidet im Bett. Gefilmt werden sie dabei auf Augenhöhe von der Kopfseite. Die Nacktheit auf der Ebene des Filmstreifens ist daher geringer als die in der Handlung, obschon beide auch in der Diegese nicht komplett nackt sind; Fiona trägt eine Hose, die sich farblich kaum von ihrer Haut unterscheidet. Die Aufmerksamkeit dürfte aber nicht auf dieser, sondern auf den Gesichtern der beiden liegen.

Durch die horizontale Körperposition wird der folgende Sex stark impliziert. Außerdem lässt sich die Einstellung weniger eindeutig als in einer gewöhnlichen Aufnahme vertikaler Körper kategorisieren; am ehesten als halbnah.

Zwar sind die Figuren diesmal statisch, doch durch die Kameraperspektive wird wenig der nackten Haut gezeigt. Die Einstellung antizipiert außerdem die spätere Bewegung der Hände, der die Kamera folgen wird, um die Gesichter und das Gros der Körper der Personen ins Off zu versetzen, aber zugleich keinen klassischen Schnitt nutzen zu müssen.

In der beschriebenen Position führen sie ein Gespräch, in dem sie dabei sehr direkt auf Sex anspielen. Fiona fragt: „Do you like wild things, Mr. Bond, James Bond?“ Seine Antwort lautet: „Wild? You should be locked up in a cage.“ Als sie sich küssen, setzt noch kein Schnitt ein. Stattdessen folgt die Kamera in einer Detailaufnahme Fionas Händen, die am Gitter des Bettgestells emporgleiten, bis sie sie schließlich fallen lässt. Währenddessen redet sie aus dem Off weiter: „This bed feels like a cage. All these bars… Do you think I'll be... safe?“ Beim letzten Wort geht die Tonhöhe ihrer Stimme nach oben.

Dann setzt ein Schnitt zu einem anderen Ort ein: Es gibt eine Zwischensequenz aus drei Shots des Junkanoo (einheimischer Karneval), die nicht nur farbenfroh, sondern auch laut sind. Die erste ist ein Medium Close-Up, bei dem ein Musikinstrument in Richtung der Kamera gehalten wird. Im zweiten Shot geht die Kamera auf größere Distanz, im dritten auch und es wird außerdem aus einem hohen Kamerawinkel gefilmt. Als zurück ins Hotelzimmer überblendet wird, sind Bond und Fiona bereits fast fertig damit, sich anzuziehen, um auszugehen.


Fionas und Bonds nackte Oberkörper beim Vorspiel. Die Figuren sind in einer eindeutigen Position. Die übrigens auf Betthöhe platzierte Kamera nutzt ein mobiles Framing, als Fiona ihre Hände nach oben bewegt. Die Kamera folgt diesen zunächst, dann setzt einen elliptischen Schnitt zu einem anderen Ort ein, als sie die Hände fallen lässt, denn dahin kann die Kamera ihnen nicht folgen.

In beiden Fällen, also sowohl bei der Nutzung von Blickbarrieren als auch der Verfolgung neuer Bewegungen, werden die Personen in den Off-Screen-Bereich versetzt, wo sie, zumindest teilweise, nicht mehr sichtbar sind, ohne dass ein klassischer Schnitt einsetzen müsste, um sie aus dem Bereich zu bekommen, der im Bild ist. Die Wahl der Einstellung und die Bewegung der Kamera helfen somit, Sex und Nacktheit soweit wie möglich zu zeigen, dabei aber auch genug zu verstecken. Dadurch sind Sex und Nacktheit in der Diegese größer, als auf der Leinwand.

Auf der Ebene des Filmstreifens werden die Figuren beim Sex unterbrochen, da elliptisch geschnitten wird. Dies geschieht auch durch Szenenwechsel: Hierbei wird entweder dauerhaft die Einstellung  gewechselt oder nur zwischenzeitlich. Im ersteren Fall werden statt Schnitten länger dauernde Übergänge wie Wischblenden (wipes) genutzt, was in der Spa-Szene geschieht. Andernfalls wird elliptisch geschnitten, indem  ein Schnitt weg zu einem anderen Ort (cutaway) einsetzt, bei dem ein Teil der diegetischen Zeit nicht gezeigt wird, sondern stattdessen eine kürzere Einstellungeine längere diegetische Zeitspanne abdeckt. Ein Beispiel hierfür bietet der Schnitt zu den Junkanoo-Shots, die zugleich als „Substitutionspoetik“ gesehen werden können.

Zusammengefasst wird nach folgenden Prinzipien vorgegangen: Die Figuren bewegen sich hinter Blickbarrieren, wohin die Kamera ihnen nicht folgen kann. Sind die Figuren noch zu sehen, wechseln wir die Szene, sobald es explizit wird; wenn nicht, müssen die Aktionen der Figuren neue Bewegungen auslösen, denen die Kamera folgen kann. Bewegen sich die Figuren nicht, müssen ebenfalls neue Bewegungen entstehen. Statt den Sex zu zeigen, schneiden wir elliptisch auf die Figuren hinterher oder unterbrechen die Szene kurz mit einem Schnitt zu einem anderen Ort, bevor wir zurückkehren, sobald die beiden fertig sind.

 

Gewalt in Thunderball

Bei der Gewaltdarstellung sucht der Film nach der Balance zwischen Harmlosigkeit und Brutalität. Hierzu gibt es sowohl Gewaltakte, bei denen Personen bluten, als auch welche, in denen niemand blutet.

Als Beispiel für eine blutfreie Gewaltszene bietet sich der Mord an François Dervals Doppelgänger Angelo an: Um während eines Trainingsflugs mit zwei Atombomben an Bord das Flugzeug zu kapern, hatte Angelo gerade die anderen Piloten getötet. Nach seiner Unterwasserlandung schafft er es nicht, seinen Gurt zu öffnen. Emilio Largo taucht herbei und schneidet ihm die Luftzufuhr durch. Der verzweifelte Angelo versucht weiterhin erfolglos und in Todesangst, seinen Gurt zu öffnen oder Largo festzuhalten. Schließlich stirbt er.

Anfangs nimmt Largo auch noch Teile der Leinwand ein oder wird in einer Totale beim Tauchen gefilmt. Am Ende bleibt aber Angelo im Bild. Sein Ertrinken zeigt sich vornehmlich über die Gestik, da durch die Kameraeinstellung und die Tauchermaske wenig bis nichts von seinem Gesicht zu sehen ist.

Hierzu greift der Film zunächst auf halbnahe Medium Shots im Profil zurück, abgesehen von einem Two Shot, da Largo als Täter prominenter halbnah gezeigt wird, oder unterbricht die Montage der Einstellungen Angelos. Diese sind durch Schnitte getrennt, so entspricht die leinwandliche Zeit an dieser Stelle etwa der Handlungszeit.


Largo schneidet Angelos Luftzufuhr durch. Dieser versucht in der Folgezeit verzweifelt, seinen Gurt zu öffnen und sich zu retten. 29 Sekunden später geht ihm die Luft aus. Über große Strecken der Sequenz entspricht die Dauer in der Handlung der Zeit auf der Leinwand.

Ab dem Durchschneiden der Luftzufuhr dauert die Sequenz 29 Sekunden, in denen Angelo auch mal verdeckt wird oder kurz im Off ist; seinem Sterben wird also durchaus viel Laufzeit eingeräumt. In diesem Fall richtet sich die Gewalt von einem Bösewicht gegen einen anderen, weswegen dramaturgisch die Figur Largo in ihrer Rolle als Antagonist ge- und ihr Konflikt mit dem Protagonisten verstärkt wird. Circa eine filmophanische Stunde später wird auch noch das Gesicht der Leiche mit geöffneten Augen nah gezeigt, als Bond das Flugzeug findet.

 


007 findet die Leiche, als er nach den Bomben sucht. Erst ca. eine Stunde nach seinem Ertrinken zeigt der Film Angelos Gesicht.

Der Film kann Gewalt zeigen oder verstecken, wobei es wie bei der Darstellung von Sex im Konflikt stehende Strategien gibt, die nach dem passenden Verhältnis zwischen beidem suchen. Die Darstellung kann implizit oder explizit erfolgen, wobei die Wahl vom dramaturgischen Kontext abhängt. Für eine implizite Darstellung können Blickbarrieren zwischen den Opfern und der Kamera genutzt werden, wie es in einigen Szenen der Fall ist, beispielsweise bei einem Kampf Bonds im Hotel mit Largos Spion Quist (später mehr dazu), wobei die Szenen in der Unterwasserschlacht wichtiger sind:

Largos Leute tauchen mit den Bomben unter Wasser, entweder um sie wie geplant nach einer erfolgreichen Erpressung zurückzugeben, oder aber um sie zu zünden, was wegen Largos Zustand zu dem Zeitpunkt wahrscheinlicher ist. Bonds Verbündete versuchen, ihn aufzuhalten.

In diesen Szenen findet die Gewalt am exzessivsten statt. Bond agiert hier in einer Freirolle, in welcher er seine Kollegen situativ unterstützt oder Gegner auf sich zieht, um ihnen anschließend Fallen zu stellen. Seine Aktionen dominieren auch das Gezeigte, da Bonds Rundgang über das Schlachtfeld unter Wasser offenbar abwechslungsreicher ist als die recht konventionellen Kämpfe aller anderen. Dramaturgisch ist diese Entscheidung dahingehend sinnvoll, dass der Film seinem Höhepunkt einen größeren Anteil der Laufzeit einräumt. Ohne Bonds Freirolle und die vielen kleinen Binnenkämpfe innerhalb der Schlacht könnte die Gefahr bestehen, dass das Zuschauerinteresse an ihr abflacht. Dabei gibt es Beispiele für Sequenzen, bei denen die Gewalt impliziert und von Blickbarrieren verborgen wird:



Largos Männer folgen Bond in ein Wrack, das Bond nutzt, um ihnen eine Falle zu stellen. Er taucht außen herum, um eine Granate hineinzuwerfen. Hier wird nur wenig herausgeschnitten; die gezeigte Zeit ist etwas geringer als die Zeit der Handlung.

Einmal lockt 007 seine Gegner in ein Wrack und wirft dort eine Granate hinein. Gezeigt werden die Gegner, wie sie sehen, dass die Granate zu ihnen ins Versteck fällt. Darauf folgt ein Schnitt zu einer Außenansicht und darauf wiederum die erwartete Explosion.

Außer Szenen, in denen kein Blut gezeigt wird, gibt es auch Gewaltszenen mit Blut. Die blutende Person kann dabei entweder lebensgefährdet sein, oder nur indirekt gefährdet, wie etwa Bond, dessen Blut während der Junkanoo-Szenen nur als Spur für seine Verfolger dient. Ein Beispiel für eine Szene mit But, in der jemand gefährdet ist, bietet die Szene der Ermordung Quists, in der „Substitutionspoetik“ eingesetzt wird. Im Prolog vor der Titelsequenz gab es zwar schon bei einem Kampf zwischen Bond und dem S.P.E.C.T.R.E.-Agenten Jacques Bouvard blutige Wunden, die durch den brutalen Zweikampf zustande gekommen waren, allerdings war das Blut dort statisch. Hier tritt erstmals welches aus.

Quist, der gerade erfolglos in Bonds Hotelzimmer spionieren war und ihn offenbar töten sollte, was für die Zuschauer allerdings nicht ganz klar ersichtlich wird, kehrt zu Largo zurück und wird von dessen Schergen wortwörtlich ins Haifischbecken geworfen.

Letzteres wird durch eine konstruktive Montage erzählt, bei der die Einstellungen durch Schnitte aneinandergereiht sind. Sie kreiert den Handlungsraum sowie die Zeit und behauptet dadurch, dass die schnellen Schnitte zu zeitlicher und örtlicher Nähe führen, narrativ, dass Quist und die Haie im selben Becken sind.

Auf eine Einstellungm wie Largos Männer im Hintergrund Quist zum Pool tragen, während ihr Chef sich im Vordergrund von ihnen in Richtung der Kamera entfernt, folgt eine nahe Aufnahme eines Hais. Schnitt zu einer Totalen, wie Quist in den Pool geworfen wird. Mit einer Unterwasseraufnahme wird aus einem niedrigen Winkel gezeigt, wie er auf einem Hai landet und wegschwimmt. Daraufhin werden aus hohem Winkel mehrere Haie gezeigt, die in Richtung Quist schwimmen. Danach wird eine Aufnahme der Beine und Füße des schwimmenden Quist gezeigt.

Am Ende der Sequenz löst sich die Kamera davon, die Personen bzw. Akteure, wie etwa Haie, zu filmen. Dort steht eine plötzlich ruhigere statische Aufnahme aus niedrigem Winkel von fünf Sekunden Länge, die die am Beckenrand stehenden Handlanger zeigt, wie sie schließlich weggehen. Währenddessen beruhigt sich das Wasser und nimmt eine rote Färbung an. Hierzu kann das Wasser beim Dreh gefärbt oder eine Virage als visueller Effekt auf den Bildstreifen gelegt worden sein.

 
 
Konstruktive Montage: Quist wird ins Haifischbecken geworfen. Quist und die Haie sind nur einmal im selben Bild. Die ersten sechs Einstellungen dieser Sequenz bereiten ihr Finale vor, das seine Bedeutung durch den Bezug zu diesen gewinnt.

Explizit wird nicht gezeigt, dass die Tiere Quist etwas antun. Die rote Färbung impliziert in jedem Fall sehr direkt Quists Blut. Eine explizitere Darstellung davon, wie eine Person von Haien zerfleischt wird, wäre über den Grenzen des für ein A-Rating Erlaubten hinausgegangen, was so durch die implizitere Darstellung vermieden wurde, die die konstruktive Montage zuvor vorbereitet und dadurch ermöglicht hatte.

 

Explizit gezeigt werden blutende Personen hingegen auf dem Höhepunkt des Films, während der Unterwasserschlacht. Dort gibt es viel, obschon unter Wasser verfärbtes, Blut zu sehen, sowohl auf Seiten Bonds Verbündeter als auch der Gegner. Ebenfalls wird ein dazustoßender Hai mit Harpunenschüssen vertrieben, die ihn verletzt wegschwimmen lassen.

 

Aus der Handlung ergibt sich, dass das Blut mit gewissen farblichen Verfärbungen unter Wasser austritt, was den Effekt mildert. In den Einstellungen sind die Antagonisten präsenter, obschon das Blut auch von Verbündeten des Protagonisten stammen kann. Dieser Kniff unterstützt die dramaturgische Balance der Figurenkonstellation.

 

Der Film zeigt auch explizit Ertrinkende, Tote und die Mimik von Tätern, was davon abhängt, wer in der jeweiligen Szene Täter ist. Ist es der Protagonist, James Bond, werden die Opfer eher versteckt, während sie bei Antagonisten als Täter prominenter sind. Dies zeigt z.B. die Szene vor der Titelsequenz. Dort sind Bond und eine Kollegin bei der vermeintlichen Beerdigung Jacques Bouvards.

Nach der Zeremonie fragt sie ihn: „Is there anything else our French station can do for Monsieur Bond?“ Bond nutzt die Gelegenheit für einen Flirt: „Later, perhaps.“ Als er sieht, wie Bouvards Witwe bei der Abfahrt ihre Autotür selbst öffnet, versteht er, dass dies nur eine Kostümierung ist und sich dahinter in Wahrheit sein Gegenspieler selbst versteckt. „As I said, later. Come on.“ Auf einem Schloss folgt schließlich ein Kampf zwischen 007 und Bouvard. Auch hier werden die Reaktionen der Opfer von Gewalt kaum oder gar nicht gezeig:

An einer Stelle wirft Bouvard mit einer Vase nach Bond. Dabei wird letzterer noch von vorne gezeigt. Es folgt ein Schnitt zu einer Perspektive von hinten, als die Vase an ihm zerschellt. Die Doppelaufnahmen (two-shots) zeigen somit erst die kameranahe Figur im Medium Shot sowie die kameraferne halbtotal, nach dem Schnitt aber halbtotal und total. Bonds Reaktion wird durch das "continuity editing" mit einem "match-on-action"-Schnitt versteckt. 

Continuity editing: Bouvard wirft mit einer Vase nach Bond. Bevor sie ihn trifft, wird geschnitten. Die neue Einstellung versteckt Bonds Gesicht. Die Gewalt erscheint dadurch, dass wir in seiner Mimik keine emotionalen Reaktionen darauf sehen, weniger brutal. (Außerdem bietet der Winkel die Möglichkeit, einen Stuntman einzusetzen.)

So werden die emotionalen Reaktionen von Figuren auf Gewaltanwendungen entweder gezeigt oder verborgen. Dabei ist auch von Bedeutung, wie sie gezeigt oder verborgen werden, bzw. wie beides zugleich geschehen kann:

Die Szene mit hoher Schnittfrequenz, in der die Bond und Bouvard ein Zimmer verwüsten, um die Einrichtung als Waffen zu missbrauchen, mündet darin, dass ersterer letzteren vor einem Kamin zu Tode stranguliert. Dabei gibt es eine Halbnahe aus niedrigem Winkel, während Bouvards Gesicht höchstens noch im verlorenen Profil gezeigt wird. Die Einstellung, die Bond beim Strangulieren zeigt, wird dabei auch von einem Schnitt zur Tür unterbrochen, was sich aus der Handlung ergibt, da Bouvards Leibwächter versuchen, sie zu öffnen. Anschließend wird zu 007 und Bouvard in einer halbtotalen Doppelaufnahme gewechselt. Bouvards Todesmoment wird darin vor allem akustisch markiert.

Bond erwürgt Bouvard. Eine Nahe (head-and-shoulders close-up) zeigt Bonds grimmiges Gesicht, als er doch noch in den Genuss kommt, drei getötete Kollegen zu rächen.

Die Entscheidung, wer wie prominent gezeigt und wer eher versteckt wird,  ist somit dramaturgischer Art. Daher sticht der folgende Moment aus der üblichen Gestaltung heraus, obwohl er die hier beschriebenen Formalien quasi erfüllt:  

Während der Unterwasserschlacht sticht ein Verbündeter Bonds einem der Männer Largos eine Harpune ins Auge. In der Nahaufnahme sind seine Augen trotz Tauchermaske ungewöhnlich präsent. Ähnliche Einstellungen gab es bisher nicht; auch das Fehlen einer humoristischen Auflockerung hinterher zeigt, dass der Film hier ernster ist, da für beide Seiten viel auf dem Spiel steht. Dort tritt zwar noch kein Blut aus, aber sowohl in der Handlung als auch auf der Leinwand ist die Gewalt an dieser Stelle dennoch brutal und explizit.


 Präsentes Gesicht eines Tauchers, als ihm eine Harpune ins Auge gestochen wird.

Anknüpfend an die obige These lässt sich feststellen, dass die Laufzeit der entscheidenden Shots bei Bond als Täter kurz, bei Antagonisten als Täter hingegen länger ist. Auch die Distanz der Kamera zu den Personen variiert: Es gibt nähere Aufnahmen von Tätern oder bereits Getöteten, mittlere Distanzen zu Opfern und längere Shots sowohl bei Opfern als auch Tätern. Entsprechend der Laufzeit und der Tatsache, dass die Opfer bei Bond als Täter eher versteckt werden, versteht sich, dass sie auch aus größerer Distanz aufgenommen werden, als andernfalls.

 

 

 

Die narrative Nähe von Sex und Gewalt

Es gibt eine narrative Nähe zwischen Sex und Gewalt, welche sich zeitlich, örtlich und in der Kausalität der Handlung zeigt. Zeitlich folgen Sex- und Gewaltszenen direkt aufeinander, was insbesondere im Anfangsdrittel in den Szenen im Spa auffällt. Durch die chronologische Erzählstruktur folgt hier aus der zeitlichen Nähe von Sex und Gewalt in der erzählten Welt auch eine zeitliche Nähe in der Dramaturgie.

Solche Verbindungen gibt es aber auch in späteren Sequenzen: Nachdem Bond und Domino unter Wasser Sex hatten gibt Bond zunächst einen witzigen Spruch von sich: „I hope we didn't frighten the fish.“ Danach erzählt er ihr vom Tod ihres Bruders, woraufhin Domino weint. Sie besprechen die Lage, werden dabei von Vargas unterbrochen, der vorhat, Bond zu töten. Dieser kommt ihm aber mit einer Harpune zuvor und gibt erneut einen witzigen Spruch ab. Bevor sie sich wieder an die Arbeit machen, bittet Domino Bond, Largo zu töten. Sie küssen sich in einer klassischen Kussaufnahme (Doppelaufnahme Medium Shot/Halbnah).

 Eine konstruktive Montage, als Vargas auftaucht, um Bond zu töten. 


„But promise me one thing: You will kill Largo for me, whatever happens.” Sie küssen sich; der Film räumt ihnen dafür zwei Einstellungen ein. Domino ist dabei entweder mit dem Rücken zur Kamera gewandt oder so weit von ihr Weg, dass von ihrem Gesicht gerade nicht viel zu sehen ist. Als der Kuss endet, ist ein Schmatzen zu hören.

 

Sex, Gewalt und Humor folgen hier in so kurzer Zeit aufeinander, dass sich an der Sequenz vieles der Ästhetik des Films sehr passend exemplarisch zeigt.

Dazu finden  Sex und Gewalt an den gleichen Orten statt. Beispiele hierfür bieten die Szenen unter Wasser, im Hotelzimmer in Nassau und in den Räumlichkeiten der Wellnesseinrichtung. Dort begibt sich 007 nach dem Sex mit Pat in die Massageräumlichkeiten, wo er seinen Widersacher Graf Lippe entdeckt und sich nun rächt, indem er, wie dieser zwei Szenen vorher, die Wellnessgeräte so einstellt, dass sie gefährlich bis tödlich sind.

Auf der Ebene der narrativen Logik gibt es kausale Verbindungen zwischen Sex und Gewalt. Hier kann das Missverständnis zwischen Pat und Bond als Beispiel dienen; da dieses jedoch zu Genüge bekannt ist, sollen stattdessen Fiona Handlungen nun im Fokus stehen:

Bond kommt gerade von den Ermittlungen auf Largos Anwesen zurück. Dann trifft er in Paulas Raum auf die badende Fiona. Wie sie gegen Anfang des Films vor dem Mord an Captain Derval mit diesem Sex hatte, schläft sie nun auch mit Bond. Als sie vorhaben, das Zimmer zu verlassen, wird Bond erst davon überrascht, dass Largos Handlanger bereits draußen warten, und als er sich umdreht, davon, dass Fiona bereits ihre Pistole auf ihn gerichtet hat. Im Folgenden wirft sie ihm vor, er habe bloß mit ihr geschlafen, um sie als Verbündete zu gewinnen, was ihm aber misslungen sei. Nach einem seiner Sprüche entführen sie nun Bond. Er kann fliehen, wird aber verfolgt und wieder aufgespürt, da er eine Blutspur hinterlässt. Während er mit Fiona tanzt, wird ein Mordanschlag auf ihn verübt, dem diese letztendlich zum Opfer fällt.

Außerdem verführt Bond Domino, eine der zentralen Figuren für die Handlung, schlussendlich vor allem im Zuge seiner Ermittlungen, was dieser in der Szene am Strand auch klar wird. Den ganzen Film über greifen Sex und Gewalt ineinander und bedingen sich gegenseitig.

Diese Verbindung wird dramaturgisch durch Parallelismen verstärkt, was einerseits in Form von Bildern erfolgt; so wecken die Luftblasen bei der Unterwassersexszene Assoziationen mit den Luftblasen, die aufsteigen, nachdem Largo Angelos Luftzufuhr gekappt hat. Später knüpft die Explosion unter Wasser auch daran an. Bei der Unterwasserschlacht gibt es hingegen keine Verbindung zu Sex durch die Handlung,  sondern ebenfalls höchstens Parallelismen wie etwa den aufsteigenden Luftblasen nach der Explosion; dies unterstreicht den Ernst der Szene.  Andererseits werden stellenweise auch dieselben Techniken genutzt. Wie auch der Unterwassersexszene geht der Tötung Quists eine konstruktive Montage voraus. Dadurch ähneln sich die Darstellungsweisen von Sex und Gewalt auch bei der Nutzung der Techniken, die den Filmemachern zur Verfügung stehen. Außerdem enden Sex- und Gewaltszenen oft mit Humor:

 

Humor in Sex- und Gewaltszenen

Der Humor kann bei Sexszenen vor dem Sex eingesetzt werden, so etwa in der Szene mit Bond und Fiona im Badezimmer. Als sie Bond um etwas zum Anziehen bittet, reicht dieser ihr nur ihre Latschen. Fiona bedeckt sich schließlich mit ihrem Handtuch, das sie um ihre Haare gewickelt hatte.In anderen Fällen folgt der Witz auf den Sex, wie z.B. nach der Szene mit Domino unter Wasser, als Bond die Situation selbstironisch kommentiert: „I hope we didn’t frighten the fish.“Als letzte Möglichkeit bietet sich an, dass der Humor der Sexszene sowohl vorausgeht als auch auf sie folgt. Dies geschieht in den Szenen mit Pat: Das Missverständnis dient als vorausgehender Witz. Als er danach das Zimmer verlässt, steuert er diesmal ein Wortspiel bei, als er ihr: „See you later“, zuruft und mit Blick auf ein „Irrigator“-Schild an der Wand auch noch: „Irrigator“, anfügt.

Bei Gewaltszenen erfolgt der Humor nur nachher. Dabei kann er sowohl an Personen gekoppelt sein, als auch von der Narration und der Dramaturgie ausgehen. Bei den Personen steuert nur Bond den Humor bei, während die Antagonisten ihre Gewaltaktionen nicht mit Witzen abschließen. Bonds Humor kann dabei verbal oder nonverbal erfolgen. Verbal bietet er witzige Sprüche, was auch das Gros des Humors des Films ausmacht. Als Beispiel bietet sich diese Szene an: Als er Graf Lippes Sitzbad auf eine zu hohe Temperatur einstellt und ihn daraufhin darin einschließt, beruhigt er ihn ironisch: „Now don't you worry, I'll tell the chef.“ Nonverbal gibt es Aktionen, wie etwa nach dem Kampf mit Bouvard: Bond zögert seine Flucht hinaus, als er sich noch einen Moment dafür nimmt, den toten Bouvard zu verspotten, indem er einen Strauß Blumen aus einer gerade bereitstehenden Vase nimmt und lieblos auf die Leiche wirft. Das filmische bzw. filmspezifische Mittel, auf die Einrichtung zurückzugreifen, wird in Thunderball übrigens auch an vielen anderen Stellen genutzt.

Geht der Humor von der Narration aus, erfolgt er nicht verbal (in Form eines Voice-over-Erzählers etwa), sondern nur nonverbal. Als Beispiel für einen solchen visuellen Witz bietet sich eine Aufnahme nach der Szene an, in der Bond Largos Handlangern in der Unterwasserschlacht eine Falle gestellt hatte. Nach der Explosion bleibt nichts mehr von diesen übrig als eine aufsteigende Taucherflosse.

Der Humor erfolgt entweder visuell oder akustisch. Visuell nutzt der Film Aufnahmen, etwa von Aktionen von Personen, oder Montagen. Akustisch werden vor allem Bonds Sprüche aufgenommen, aber auch die Filmmusik kann ihren Teil zur humoristischen Wirkung beitragen indem sie solche Momente passend unterstreicht; dies fällt ebenfalls beim Missverständnis mit Pat auf, braucht hier aber auch nicht weiter vertieft werden, da auch dieser Moment insgesamt zur verfolgten Linie des Musikeinsatzes in Thunderball gehört.

Die dramaturgische Funktion dieses Humors ist dabei paradox - einerseits bieten humoristische Momente eine Erheiterung, Auflockerung, und tragen zur Entspannung bei; andererseits ist zynischer Humor als Erheiterung selbst zynisch und stellt seinem Publikum beides verharmlosend dar. Letzteres wurde dem Film vom BBFC als sadistisch ausgelegt.

 

 

 

 

Fazi

Thunderball hält sich bei der Gestaltung seiner Sex- und Gewaltszenen grundsätzlich an den konventionellen Rahmen, bewegt sich innerhalb dieses Rahmens aber äußerst unkonventionell. Bei der Gestaltung der Sexszenen verfolgt der Film offenbar die Strategie, zunächst unkonventionell viel zu zeigen und das Verstecken dann wiederum auf ebenfalls unkonventionelle Weisen stattfinden zu lassen. Hierzu werden Bewegungen von Personen und Blickbarrieren genutzt, die dafür sorgen, dass der Film keine klassischen Kuss-Schnitt-Muster braucht, was aber nicht heißt, dass die Darstellung nicht konventionsgemäß elliptisch ist. Seine Gewaltszenen hält Thunderball größtenteils unblutig, setzt notfalls Substitutionen ein und zeigt erst am Höhepunkt des Films Brutalität direkter.  Während die Variationen in der Darstellung von Gewalt also an dramaturgischen Überlegungen festzumachen sind, sind sie Sexszenen mit stärkerer Unabhängigkeit von der Personenkonstellation gestaltet. Auch darin zeigt sich das Verhältnis von Produktionsbedingungen und Ästhetik, da eine freie Ästhetisierung von Gewalt und Sex zum Produktionszeitpunkt nicht möglich war, gerade weil der Film auch mit Blick auf die Auslandsdistribution nicht riskieren konnte, keine universelle Freigabe zu erhalten. Die Lösungen, die er für diese Probleme findet, sind zugleich modern und elegant.

Vor diesem Hintergrund zeigt sich auch eine Spannung zwischen der Produktionssituation und der Gestaltung des Films: Thunderball nutzt die bereits in der ersten Szene etablierte Mischung aus Sex und Gewalt als Fundament, was darin mündet, dass der Film teils - gemäß seiner dramaturgischen Struktur - Sex- und Gewaltszenen aneinanderreiht und eher lose verbindet. Auch die humorvolle Präsentation war offensiv und riskant, was auch aus einem auf den Internetseiten des BBFC kursierenden Schreiben hervorgeht:

Darin kommentiert die Kontrollbehörde Szenen des vorläufigen Drehbuchs und weist die Produzenten auf Schwierigkeiten einiger intendierter Ideen hin, wobei auch der Humor als unangemessen oder sadistisch kritisiert wird. Einige Szenen wurden im Vergleich damit, was der Bezugstext für den Film anscheinend plante, gekürzt; dafür können allerdings auch zusätzlich künstlerische Entscheidungen im Entstehungsprozess des Films maßgeblich gewesen sein. Viele der Szenen schafften es übrigens trotz der Kritik des BBFC in den Film.

 

Während in Großbritannien das BBFC weiterhin bestehen sollte, ging es 1968 mit der Filmkontrolle in den USA in ihrer Form bis dahin zu Ende. Stattdessen wurde ein neues System in Kraft gesetzt, bei dem Filme bestimmte Altersfreigaben erhielten. Dadurch konnten deutlich mehr Filme überhaupt freigegeben werden. Dasselbe System ist auch aktuell noch in Kraft, obschon es seither auch einige Anpassungen hinzunehmen hatte.

Mit dieser neuen Freiheit ging die Entwicklung der Ästhetik des New Hollywood einher. 1969 erschien Sam Peckinpahs The Wild Bunch, in dem Gewalt in einer neuartigen Dimension ästhetisiert wurde. Peckinpahs Western wird in der Forschung als erster Meilenstein des New Hollywood angesehen, während Bonnie und Clyde dagegen das Ende des „klassischen“ Hollywood markiere, das sich aber schon in den vorausgegangenen Jahren schon ästhetisch, 1967 aber auch strukturell vom klassischen Hollywood vor 1960 löste; übrigens auch ein Film, der Sex, Gewalt und Humor nah beisammen erzählt.

Vor allem Gewalt wurde im Film populärer. So erhielten Filme mit expliziter Gewalt niedrigere Freigaben als Filme mit explizitem Sex. Besonders in den achtziger Jahren war ein Anstieg gewaltreicher Actionfilme zu verzeichnen. In diesen war die Gewalt allerdings institutionalisiert, womit die Entwicklung, die mit der oppositionellen Gewalt in Filmen in den fünfziger und sechziger Jahren begann und sich über erlaubte Gewalt in den Siebzigern fortsetzte, zu Ende gebracht wurde. Gewalt wurde somit praktisch Exportgut Nummer eins der Vereinigten Staaten. So trugen gewaltreiche Filme das etablierte System in den Achtzigern, statt sich gegen dieses zu richten.

Der Humor bei Gewalt sollte nun übrigens sowohl vorher als auch nachher stattfinden; in Bond’scher Tradition dienten Actionszenen geradezu als Setup für witzige Sprüche, ein Markenzeichen der Filme Arnold Schwarzeneggers.

Im Gegensatz dazu erhielten Filme mit Sex höhere Freigaben als Filme mit Gewalt. Dadurch blieb expliziter Sex in Filmen auch nach 1968 unpopulär. Dennoch sollte angemerkt sein, dass auch Filme mit direkteren Sexdarstellungen oder auch mehr Nacktheit zunehmend für ein jüngeres Publikum freigegeben wurden und werden.  

Im Vergleich zur heutigen Situation ist erwähnenswert, dass Sex und Gewalt in den Sechzigern auf einem deutlich indirekteren, subtileren Weg gezeigt wurden. Die Veränderungen erscheinen vor allem im Vergleich mit dem vorangegangenen Jahrzehnt bzw. dem klassischen Hollywood zuweilen radikal, aber nie so kompromisslos wie im New Hollywood.

 

Innerhalb der James-Bond-Reihe blieb das Niveau von Sex und Gewalt auch in der Folgezeit hoch, obschon die Darstellungen weniger offensiv, sondern oft konventioneller waren. Mit Roger Moore als Bond wurde die humoristische Komponente beibehalten und stärker auf eine absurdere Ebene getrieben, was in seinem ersten Bondfilm, Live and Let Die, dazu führt, dass ein Bösewicht eine Sauerstofftablette schluckt, dadurch aufgebläht wird und platzt, woraufhin Bond ihn als "aufgeblasene Persönlichkeit" bezeichnet. In anderen Filmen wurde allerdings auch gerne die Mimik sterbender Gegenspieler stärker gezeigt, sogar ganz ohne humoristisches Beiwerk: In The Spy Who Loved Me tötet Bond seinen Widersacher Stromberg mit mehreren Schüssen, während dieser langsam und mit weit aufgerissenen Augen stirbt; die Aufnahmen sind entsprechend lang. Passend zur filmgeschichtlichen Entwicklung hatte Bond den vorläufigen Höhepunkt seiner Gewalt in den Achtzigern mit Licence to Kill. In den Filmen mit Pierce Brosnan wurde das Gewaltniveau verglichen damit leicht gesenkt, bevor es mit Daniel Craig wieder leicht ansteigen sollte.

Die Sexdarstellungen wurden nach Thunderball konventioneller, obschon die Filme weiterhin viel Nacktheit vorzugsweise weiblicher Körper zeigten. Mit einem alternden Roger Moore in der Hauptrolle wäre es womöglich auch unpassend, über das klassische Kuss-Schnitt-Muster hinauszugehen oder den männlichen Körper wie Sean Connerys zu inszenieren. In einer Szene aus For Your Eyes Only (1981) lehnt Bond (Moore) den Sex mit einer ihm zu jungen Frau ab, was auf einer Metaebene auch selbstreferenziell gelesen werden kann.

In den Filmen mit Pierce Brosnan wurde die Figur Bond wiederum stärker motiviert, womit auch emotionalere Beziehungen zu seinen Partnerinnen einhergingen. Die Darstellung ging insofern über das Kuss-Schnitt-Muster hinaus, als dass diesmal i.d.R. mehrere Küsse bei viel Nacktheit stattfanden. Substitutionelle Tendenzen bei der Darstellung gab es ebenfalls: In The World Is Not Enough (1999) wird Bond zunächst von seinen Kollegen beim MI6 per Wärmebildkamera aus einer Vogelperspektive dabei beobachtet, wie sein Körper wärmer wird, bis sich herausstellt, dass Bond nicht allein ist, sondern zwei Personen aufeinander liegen. Durch die Montage wird diese Darstellungsweise aber nicht zu einer „klassischen“ Substitution. Die expliziteste Darstellung von Sex sollte jedoch erst drei Jahre später in Die Another Day folgen, was aber eine Ausnahme in der Reihe bleibt, als Sex ohne elliptische Schnitte präsentiert wird. Entgegen den Versuchen in Thunderball, die Konvention zu brechen, sich dabei aber innerhalb der Grenzen des Erlaubten zu bewegen, fand also eher eine Modernisierung der klassischen Darstellungsweise statt.

 

 

TL; DR

 


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Jean

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