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Montag, 14. November 2016

Eitelkeit in Aktien

Aus gegebenem Anlass wird die Paul-Sorvino-Reihe nach dem Halloween-Spezial weiter herausgezögert und eine neue Kategorie eingeführt: Die Theaterkritik auf Khan's Pets.



Königin Lear

(Schauspiel Frankfurt)



Die Rezeption des Börsencrashs 2008 in Literatur, Spiel-, Dokumentarfilmen u.v.m. findet nun den Weg ins Theater, genauer gesagt in ein Theaterstück von William Shakespeare. Idee: Lear ist eine Unternehmerin und ihr Reich ein globales Firmenimperium. Unter Regie des Dortmunder Intendanten K. Voges auf die Bühne gekommen, werden einige Details aus T. Lanoyes Vorlage ausgelassen. Interessant ist neben dem Bühnenbild die Verwendung einiger filmischer Elemente. Bevor das Licht im Zuschauerraum erlischt, hört man ein Brummen, während eine Kamerafahrt Aufnahmen von Bürotürmen zeigt – willkommen in Ma(i)nhattan.

Natürlich kann ein Remake auch interessante neue Perspektiven eröffnen, wie hier etwa diedemente Mutter, um die sich die Söhne nicht mehr kümmern wollen - bis auf den Verstoßenen. Ein Remake hat aber auch das Problem, in Konkurrenz zum Original zu stehen. Daher können Remakes unbekannter Stoffe und Umwandlungen dieser auch in andere Medien interessante neue Werke hervorbringen. Ein Theaterstück von Shakespeare zählt hingegen grundsätzlich zu den Werken, an denen kein Verbesserungspotenzial besteht – Hitchcock beschrieb solche Kunstwerke (am Beispiel des Romans Schuld und Sühne) als in seinem Medium formvollendet. Dennoch sieht Lanoye (bekannt durch das Shakespeare-Crossover Schlachten!) offenbar genug Gründe, König Lear umzuschreiben. Dabei wird der Stoff in eine moderne Welt getragen und Geschlechter umgewandelt, womit zu Remakeproblemen auch noch Modernisierungsprobleme stoßen.
Modernisierende Veränderungen in Remakes klingen häufig banalisiert nach platten Aussagen. Heute ist es nicht ein Königreich, das an der Eitelkeit des Herrschers leiden wird, sondern ein großes Unternehmen mit internationalen Zweigen. Was früher Könige waren, sind heute die Konzernchefs (so sagt es schließlich schon der Titel).. Der Krieg findet nicht auf dem Schlachtfeld statt, sondern in der Börse. War Cordelia eine Enterbte, die sich durch ihre Hochzeit mit dem französischen König von Lear emanzipierte, möchte Cornald mit der Gründung eines eigenen Betriebs auf eigenen Füßen stehen.

Im Dialog findet sich eine Mischung aus Shakespeare-Zitaten, mal raue (manchmal gekünstelt),  mal gehoben poetische Sprache (ebenfalls manchmal gekünstelt) und natürlich ökonomisches Fachvokabular, das einen Kontrast zu den Beweggründen der Figuren bildet. „Gefühle“, so die Königin, „spielen keine Rolle.“ Sie fühlt sich in ihrem Stolz gekränkt, wenn ihr kein Honig ums Maul geschmiert wird; die Söhne streiten sich mehr aus ihrem Ego als aus Entscheidungen, die besondere fachliche Kompetenz erfordern.

Lose an König Lear orientiert, kann das Stück eigentlich nicht langweilig werden; außer es langweilt, wenn Königin Lear sich damit selbst beschneidet. Die dramatische Kraft eines König Lear wird natürlich nie erreicht werden, wenn die Dominanzstruktur zwischen König und Nachfahren abgeändert wird, das Original niemals abwesend sein kann und das Remake in seinem dramatischen Spielraum einengt. Das Stück wird durch sein Gespür für auflockernde Situationskomik immerhin sympathischer.

JAH

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