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Freitag, 15. Dezember 2023

Dramaturgie der Nebenfiguren

 The Message (Mohammed, der Gesandte Gottes)

 


Handlungsumriss

Mohammed, der Gesandte Gottes folgt dem Leben des islamischen Propheten Mohammed von seinem 41. Lebensjahr an. Der Erzengel Gabriel erscheint Mohammed mit einer Nachricht Gottes. Infolge dessen verbreitet Mohammed die Lehren des Islam, die sich außer die Religion auch gegen die Kultur und Tradition Mekkas richten. Seine Anhänger werden verspottet, misshandelt, gefoltert, vertrieben, und fliehen, erst nach Abessinien, und nach einem misslungenen Mordanschlag auf den Propheten schließlich nach Medina. Als Mekka das Hab und Gut der geflohenen Moslems beschlagnahmt und in Damaskus verkaufen will, kommt es zum Krieg zwischen den Städten, wobei das Glück zunächst auf Seiten der zahlenmäßig unterlegenen Moslems, wobei sich das Blatt bald auch wendet. Nachdem ein Friedensvertrag zwischen beiden Parteien gebrochen wird, vereint Mohammed ganz Arabien hinter sich, umzingelt Mekka mit seinen Truppen und nimmt es schließlich kampflos ein. Vom Tod des Propheten spannt der Film schließlich einen weiten Bogen zum Islam der Gegenwart.

So weit, so gut. Wüstenfilme und Epen sind dem Kino der 1970er Jahre hinlänglich bekannt. Doch gibt es für eine konventionelle Narration ein kleines Problem: Der Prophet Mohammed darf nicht gezeigt werden, ohne auf Ablehnung der islamischen Welt zu treffen. Ein Problem, das eine interessante Herausforderung bietet, der mit verschiedenen Lösungsstrategien begegnet wird.

 

1. Eisenstein Light

Statt dem Propheten Mohammed direkt zu folgen, folgt der Film Nebenfiguren. Man könnte beispielsweise den Film aus der Sicht seiner Frau Hadidscha, seinem Freund Abu Bakr, o. ä. erzählen – eine Strategie, die historische Filme bzw. Narrationen im Allgemeinen gerne wählen. So handelt die Erzählung The Great Gatsby beispielsweise von Jay Gatsby, doch die Hauptfigur ist nicht Gatsby selbst, sondern Nick Carraway. Doch auch das ist nicht möglich, denn selbst die wichtigsten Verbündeten des Propheten können nicht gezeigt werden. Das bedeutet, dass der Film historisch noch unwichtigere Figuren zu Hauptfiguren erklären müsste.

Hierzu füllen vor allem Mohammeds Adoptivsohn Zaid und Mohammeds Onkel Hamza die vakante Position der Hauptfigur temporär auf, sodass man ihre Bedeutung für die islamische Geschichte überschätzen könnte. Auch anderen Figuren wie Abu Sofyan, das Oberhaupt Mekkas, und seine Frau Hind, kommt durch diese „Dramaturgien der Nebenfiguren“ eine wichtigere Rolle zu, als es in einer konventionellen Erzählung wohl der Fall gewesen wäre.

Das Prinzip ist von Eisenstein hinlänglich bekannt. Bei Eisenstein gibt es im Gegensatz zum westlichen individualistischen Kino keine Hauptfiguren, sondern der Protagonist ist die Masse. Es kann sein, dass wir Figurne in Nahaufnahmen sehen, ohne zu wissen, wer die Personen sind. Es geht eher darum, im Kontext der Montage bestimmte Dinge zu erzählen, und so Emotionen zu vermitteln wie bspw. Trauer oder Wut.

Interessanterweise hat Mohammed, der Gesandte Gottes Elemente dieser sozialistischen bzw. kommunistischen Ästhetik. Dabei wird der Islam oft als Auflehnung, als Rebellion gegen ungerechte Verhältnisse gezeigt, als Bewegung „von unten“, bei denen dunkelhäutige Sklaven vor Gott den Vertretern der Oberschicht gleichgestellt werden, oder auch Frauen als gleichwertig angesehen werden.

Dabei ist der Film aber nie ganz kommunistisch, sondern nutzt die Dramaturgie nur im Kontext westlicher Tradition. Der dramaturgische Raum, der von der nicht gezeigten Hauptfigur hinterlassen wird, wird immer zeitweise aufgefüllt. Auch ist Mohammed Teil der Oberschicht, dem Stamm der Kuraisch, und kein Mitglied der Unterschicht. Andernfalls wäre er im Kontext der Stammespolitik der Kultur auch angreifbarer gewesen.

 

2. Der POV (klick)


 

Eine zweite und vielleicht naheliegende Option ist der POV. In einigen Szenen sprechen Figuren, wenn sie mit Mohammed sprechen, in die Kamera, oder wir sehen aus der Sicht Mohammeds. Diese Strategie erinnert an Las Meninas von Velazquez, nur mit dem Unterschied, dass wir hier keinen Spiegel haben, in dem wir Mohammeds Gesicht gespiegelt sehen. Gelegentlich, wenn die Szenen als Dialogszenen gedacht sind, kommt es vor, dass Charaktere abwarten, was Mohammed sagt, während wir aber nichts hören, und reagieren dann auf das Gesagte, was nur durch die Reaktion impliziert wird.

Ästhetisch gesehen bringt es leider wenig Neues. Die Implikation wäre gewesen, dass wir die Welt, auf die Mohammed reagiert, aus dessen Perspektive sehen können, und so verstehen, wieso er das tut, was er tut – nämlich die Religion und die Gesellschaft zu revolutionieren. Stattdessen erinnert der Film mit dieser Technik an andere Experimente mit dem POV in der Geschichte der Filmkunst, die ich allerdings als gescheitert ansehen würde, wie bspw. Lady in the Lake, wohingegen Kuleshov-artige POV/Shot-Muster sich als effektiver erwiesen haben (oder Shot/POV/Shot-Muster à la Hitchcock).

 

3. Dramatischer Dialog

Ein drittes Mittel zur Narration ist der Dialog. Schon Szondi hat in der Theorie des modernen Dramas die Funktion des Dialoges untersucht, mit dem Ergebnis, dass im Drama, einer theatralen Stilepoche, der Dialog absolut ist, dass alles, was passiert, im Dialog konstruiert wird. Lacht eine Figur, so sagt sie: „Der Kasus macht mich lachen“, oder eine andere Figur spricht an, dass jemand lacht.

Ganz im Sinne Szondis setzt auch Mohammed, der Gesandte Gottes auf Dialog zur Narration – allerdings nicht in einem Drama, sondern eine Film. Das bedeutet, wenn er etablieren will, dass Mohammed 40 Jahre alt ist, sagt eine Figur über ihn: „Er ist immerhin schon vierzig.“ Will man etablieren, dass eine Figur Mohammeds Onkel ist, so sagt eine Figur zu ihr: „Er ist dein Neffe.“ Das wirkt vielleicht picky, doch durchzieht diese Art des dramatischen Dialogs den ganzen Film, was in einem audiovisuellen Medium wie dem Film deplatziert wirkt.

Die Probleme der dramatischen Konstruktion zeigen sich beispielsweise in einer Szene, in der Zaid zu Abu Talib, einem Onkel Mohammeds, gerannt kommt:

Zaid: „Abu Talib. Abu Talib!“

Abu Talib: „Zaid, mein Junge, du bist ja völlig außer Atem.”

Zaid: „Ist Mohammed vom Berg Hira wieder zurück? Er ist schon über drei Tage dort.“

 

Zaid ist nur mit der Frage in die Szene gegangen, ob Mohammed noch auf dem Berg Hira ist, damit die Zuschauer erfahren, dass er schon über drei Tage dort ist. Es gibt keinen ersichtlichen Anlass zu seiner Eile, und dass durch den Dialog, nicht über das Spiel etabliert wird, dass Zaid gerannt ist, erscheint auch unnötig, aber für den Film erwartbar.

 Dass sich der Film darüber hinaus auch eines Voice-over-Erzählers bedient, um alles zu sagen, was er in diesen Dialogen nicht erzählen kann, spricht Bände.

 

4 .Dramaturgische Struktur

Der Film bleibt alles in allem etwas oberflächlich. In der ersten Hälfte gibt es noch einige Szenen, die für einen religiösen Film passend erscheinen. An einer Stelle soll ein Anhänger des Propheten bestraft werden, doch gewinnt dabei einen der Sklaven, der ihn bestrafen soll, zur islamischen Religion. Später wird dieser Sklave als überlegener Kriegsherr wieder auf den Anführer Mekkas treffen, der unter dem militärischen Druck von Mohammeds Armee konvertiert und kapituliert. Auch bekommen Mohammeds Gegner die Möglichkeit, ihre Sichtweise auf ihre polytheistische Religion zu verteidigen, als sie in Abessinien vorm abessinischen König über Islam und Christentum diskutieren.

Doch in der 2. Hälfte des Films werden solche Szenen seltener. Der Film verkommt zum Schlachtenfilm und ist sogar noch gezwungen, einige Schlüsselmomente der islamischen Geschichte auszulassen, da die Laufzeit ohnehin fast 3 Stunden beträgt. Dadurch nimmt sich der Film leider auch die Gelegenheit, kritische Aspekte der islamischen Frühgeschichte zu beleuchten, was allerdings ein dramaturgisches Erfordernis des Wüstenepos ist, siehe Lawrence von Arabien.

 

5. Sonstige Aspekte des Films

Eine weitere Gemeinsamkeit mit Lawrence ist außer dem Handlungsort Wüste auch die Musik von Maurice Jarre, die gemeinsam mit Anthony Quinns Schauspiel den Film über weite Strecken trägt. Nach dem Tod Hamzas in der Mitte der zweiten Hälfte entsteht so auch ein Loch, das kaum noch von anderen Nebenfiguren geschlossen wird, ähnlich der 2. Hälfte von Psycho.

Auch sind die Leistungen der deutschen Synchronsprecher durchweg besser als die Sprechleistungen der englischsprachigen Schauspieler im Original. Auf Deutsch wirkt der Filmdialog seltsamerweise auch weniger gestelzt.

 

Fazit

Nicht der beste Wüstenfilm, nicht der beste religiöse Film, aber sehenswert in Anbetracht der Herausforderung, die Hauptfigur nicht zu zeigen. Der Film kann auch als Startpunkt gewählt werden, um die dramaturgischen Implikationen weiterzudenken und noch konsequenter auszuführen. Wie sieht ein Prophet die Welt, die Religion, die Kultur und die Gesellschaft? Wie kann ein Film vielleicht den Einfluss einer Person zeigen, die er selbst nie zeigt, sondern nur die Reaktion von Nebenfiguren aus der Unterschicht und Antagonisten aus der Oberschicht darauf? Was sind die Implikationen dieser Dramaturgie?

 

Auch Sehenswert:

Oktober, Panzerkreuzer Potemkin, Lady in the Lake, Psycho, Lawrence von Arabien

Auch Lesenswert:

Szondi: Theorie des modernen Dramas

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